Achtung: Das hier ist keine Triggerwarnung im klassischen Sinne, aber zumindest eine halbe. Das folgende Thema löst meistens viele starke und sehr unterschiedliche Meinungen aus. Wenn ihr euch für irgendeine Info im Detail interessiert, stöbert gern in den Quellen.
Das menschliche Gebiss besteht bei Erwachsenen aus 32 Zähnen (Weisheit mitgerechnet), die täglich fleißig Obst, Gemüse, Fisch, Fleisch und alle anderen Schandtaten zermampfen können.
Schon im Mund übernimmt unser Verdauungssystem dann den Rest der Arbeit und spaltet die Nahrung in ihre einzelnen Bestandteile auf. Die gehen dann ins Blut, werden sofort genutzt oder für später gespeichert und alles, was übrig bleibt – na ja, kommt am Ende des Tages wieder aus uns raus.
Das eigentlich Faszinierende ist, dass wir uns nicht wie Enten nur von Schlick und Pflanzen ernähren oder wie eine Kuh alle halbe Stunde Gras hoch- und runterwürgen müssen. Menschen sind im klassischen Sinne Allesfresser – und das tun wir auch.
Damals war’s.
Früher, also ganz früher, als Industrialisierung nur ein Wort und Globalisierung eine leise Ahnung war, da gabs viele kleine Bauern, die alle Jubeljahre mal ein Schwein geschlachtet und damit ein ganzes Dorf versorgt haben. Das Schwein hatte es vorher gar nicht so übel. Es hat fast ausschließlich draußen gewohnt, ordentlich was zu futtern bekommen und sich sonntags eine Extrarunde im Dreck gewälzt. Dann musste es irgendwann das Zeitliche segnen. Nicht, weil die Bauern böse Menschen waren, sondern weil es schlichtweg keine alternativen Ernährungsweisen gab. Man ist froh und dankbar für das Schweinchen gewesen.
Das ist man heute sicherlich auch noch, aber für die meisten von uns gehört das Tier nicht mehr zum familieneigenen Hof. Man kauft es steril verpackt im nächsten Supermarkt, hat keine Beziehung zu diesem Stück Fleisch, kann auch keine aufbauen. Denn fertig geschnitten und auf einem Salatbett präsentiert, erinnert das bisschen Muskelgewebe kaum noch an ein lebendiges Tier.
Und da, denke ich, fängt ein Teil eines riesigen Dilemmas an.
Das Preisschild am Ferkel.
Zuerst die Zahlen: Im Jahr 2020 werden weltweit 338 Millionen Tonnen Fleisch produziert – davon 66 Millionen Tonnen in Europa (FAO, 2020). In Deutschland liegt im gleichen Jahr der Fleischkonsum pro Kopf bei 57,3kg (Statista, 2021). Zum Vergleich: Das ist so viel wie 14 Hühner, 5 Puten oder ein halbes Schwein.
In Deutschland werden im Jahr 2020 übrigens 3,2 Millionen Rinder, 53 Millionen Schweine und 620 Millionen Masthühner in insgesamt 124 Schlachtanlagen geschlachtet (umweltbundestamt.de, 2021). Auch hier zum Vergleich: 2020 leben in Deutschland 83 Millionen Menschen (Weltbank, 2020).
Hört sich jetzt erst mal legitim an, allerdings gehören zu diesen 57,3kg pro Kopf auch gut 30kg „Abfall“ – die Teile des Tieres, die (in unseren Breitengraden) nicht verzehrt werden, wie zum Beispiel Füße, Augen oder Ohren. Oder Knochen, die u.a. zu Gelatine verarbeitet werden können.
Im Laden kostet ein Kilo Schweinekotelette beim Metzger (!) dann im Schnitt 6€ (zeit.de, 2020). Was ich mir noch als Studentin nicht wirklich hätte leisten können, ist im Grunde immer noch viel zu wenig. Denn ein Mäster, der die Ferkel kauft, füttert und unterbringen muss, bekommt fürs Kilo Tier lediglich 1,66€ (eine Packung „Extra“ Kaugummis kommt auf 2,25€). Und ein Babyschweinchen kostet in der Anschaffung allein 70€.
Rentabel ist dieses Geschäft im Umkehrschluss also erst, wenn ich möglichst viele Tiere halte, die möglichst schnell möglichst schwer werden. Kostendeckend zu wirtschaften ist allerdings auch dann nur schwer realisierbar.
Lidl lohnt sich – nur nicht für Landwirte.
Die Preise von Fleisch hängen in Deutschland stark vom internationalen Markt ab. 2019 haben wir 2389 Tonnen Schwein in andere Länder exportiert, davon etwa drei Viertel in die EU und den Rest nach China (Statistisches Bundesamt, BLE, 2020).
Die Preise werden so von Angebot und Nachfrage bestimmt – und von der Zahlungsbereitschaft der Verbraucher. Um die wiederum streiten sich die großen Lebensmittelhändler seit Jahren erbittert. Und locken Kunden mit Sonderangeboten und netten Rabatten in ihre Läden. Könnte sich der Einzelhandel darauf verständigen, dieses gegenseitige Preisunterbieten zu lassen, wäre der Verbraucher am Ende wahrscheinlich auch bereit, mehr für sein Schnitzel zu zahlen. Aber warum sollte ich bei Edeka 5€ für meine Bratwürste zahlen, wenn ich sie bei Lidl auch für 2€ haben kann?
Landwirte unterliegen also nicht nur den Schwankungen eines sich wandelnden Marktes, sondern müssen auch auf den Einzelhandel reagieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Massentierhaltung? Ein menschengemachtes, aber auch kapitalismusbehaftetes Problem.
Und die Umwelt?
Dass unsere Natur ziemlich im Eimer ist, wissen wir schon. Und das hat zahlreiche Hintergründe. Die Klimakrise also nur auf Schlachtbetriebe zurückzuführen, wäre grundsätzlich falsch. Aber: Die hohe Fleischproduktion trägt eben auch zu unserer Misere bei.
Tiere brauchen Platz: Selbst, wenn wir ganz stumpf von einem Mast- und Schlachtbetrieb ausgehen, bei dem die Tiere nicht fröhlich auf der Wiese herumspringen dürfen. Allerdings brauchen sie nicht nur ein paar Quadratzentimeter für sich selbst, sondern beanspruchen indirekt auch den Platz, den z.B. diverse Maisfelder einnehmen – denn Mais ist ein gutes Futtermittel. U.a. weist Rindfleisch mit 13,7 Quadratmetern pro 1000 Kilokalorien den meisten Flächenbedarf auf (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, 2019).
Anders erklärt: Viel Mais muss angebaut werden, da Rinder viele Kilokalorien zum Leben aufnehmen müssen, was wiederum extrem viel Ackerfläche beansprucht.
[Von Natur aus fressen Rinder im Übrigen einfach nur Gras. Mais und auch Soja sind aber super Kraftfutter, von dem sie schneller wachsen.]
Es geht allerdings noch weiter: Deutschland kann seinen Bedarf an Kraftfuttermittel selbst nicht decken und importiert aus dem Ausland. Genau genommen, nehmen wir also auch in Übersee Fläche für den Fleischkonsum ein (ebd.).
Zusätzlich brauchen nicht nur die Tiere ab und zu mal was zu trinken, sondern vor allem die Pflanzen. Weltweit gehen für die Fleischverarbeitung jedes Jahr 70% unseres Süßwasserkontingents drauf. Um ein Kilo Rindfleisch zu produzieren werden gut 15.000l Wasser benötigt. Ein Kilo Kartoffeln braucht 250l (ebd.).
Noch mehr Horrorfakten: Das Grundwasser wird mit Nitrat verschmutzt. Durch den Gebrauch von Stickstoffdünger in der Landwirtschaft – das Ausfahren von Gülle – verbleibt der enthaltene Stickstoff nur zum Teil im Boden. Der andere Teil gelangt in Form von Nitrat ins Grundwasser oder entweicht als Ammoniak und Lachgas in die Atmosphäre.
Doof: Nitrat kann in Körper von Menschen und Tieren zu Nitrit umgewandelt werden, das besonders für Säuglinge schädlich ist. Denn durch Nitriteinwirkung kann der Sauerstoff nicht mehr richtig von der Lunge in die Zellen transportiert werden. Es folgt Erstickung. Erwachsene bilden im Laufe ihres Lebens immerhin ein Enzym, das genau dies verhindern kann (quarks.de, 2019).
Doppelt doof: Genanntes Ammoniak beeinflusst die Qualität unserer Luft (es wird mehr Feinstaub und Ozon gebildet) und Lachgas ist ein besonders starkes Treibhausgas (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, 2019).
Irgendwie dreifach doof: Vor allem Rinder produzieren als Wiederkäuer ziemlich viel Methangas. Bezogen auf 100 Jahre ist Methan etwa 25mal klimawirksamer als Kohlendioxid. Dabei sind Methan-Emissionen fast vollständig auf den Verdauungsvorgang von Schlachtrindern und Milchkühen (!) zurückzuführen (ebd.).
„Das haben wir schon immer so gemacht!“ ist die falsche Devise.
Nach den ganzen Weltuntergangsinfos gebe ich euch gern noch ein paar Lichtblicke mit. Ich bin ja nicht so.
Nach einer Databyte-Auswertung aus diesem Jahr gibt es hierzulande immer weniger klassische Schlachtbetriebe. Die Zahl der Neugründungen liegt 2021 nur bei 19.
Auch der Erwerb von Fleischersatzprodukten nimmt stetig zu. 2019 gingen in diesem Bereich schon 26.600 Tonnen über die Ladentheke (Fleischatlas, Heinrich Boll Stiftung, 2021).
Und auch, wenn die eingangs erwähnten 57kg Fleisch pro Kopf echt viel sind – so wenig wurde in Deutschland seit 1989 noch nie gegessen. Dazu ernähren sich immerhin 13% der 15- bis 29-jährigen vegetarisch oder vegan – Tendenz steigend. Und Flexitarier, also Leute, die nur ab und zu mal an einer Keule kauen, sind schon bei 25% (Bundesinformationszentrum Landwirtschaft, 2021).
Diverse Kommissionen beraten außerdem über eine Tierwohlabgabe. Fleisch soll also höher besteuert werden, damit es nicht mehr zur Ramschware degradiert werden kann. Wir sprechen hier aber nicht vom teuren Luxusgut, sondern von Erhöhungen bei etwa 40 Cent pro Kilo Fleisch oder Wurst. Verbraucher sind daher angehalten, bei ihrem Konsum umzudenken (zeit.de, 2020).
Es geht also in die richtige und vor allem ethisch vertretbare Richtung. Fraglich ist hier jedoch, wie sich vor allem einkommensschwache Personen und Familien hochwertiges Fleisch leisten sollen. An der Moral hängt also ein Preisschild. Und das ist schlecht.
„Sollen sie doch Kuchen essen“ ist an der Stelle nämlich auch schwierig: Denn besonders die Preise für Gemüse sind aufgrund schlechter Ernten im letzten Jahr extrem gestiegen. Kartoffeln kosten bis zu 27% mehr, Tomaten 15% (rbb24.de, 2021).
Fazit: Fleischessen ist nichts Böses. 1,99€ für 1kg Hack schon. Und unsere Gesellschaft hat tiefgreifend strukturelle Probleme, die es Leuten ohne Geld schwierig macht, sich überhaupt ordentlich zu ernähren. Deshalb sollte man mit verschiedenen Urteilen immer vorsichtig sein.
Ich wolle euch aufzeigen, welchen fetten nackten Rattenschwanz die Schlachtindustrie hinter sich herziehen kann. Und dass man sich, wenn man kann, über sein Essverhalten durchaus mal Gedanken machen sollte. Denn auch, wenn das Gebiss noch stimmt – Fleisch ist 2021 nicht unbedingt mehr ein Muss.
[Peace & Love an alle. Ich esse auch manchmal ’n Schnitzel.]
Quellen:
https://de.statista.com/infografik/20391/produktion-von-fleisch-weltweit/
https://bvlk.de/news/wie-viel-fleisch-exportiert-und-importiert-deutschland.html
https://www.quarks.de/umwelt/landwirtschaft/das-passiert-wenn-zu-viel-nitrat-in-die-umwelt-kommt/
https://www.umwelt-im-unterricht.de/hintergrund/fleischkonsum-umwelt-und-klima/
https://www.rundschau.de/artikel/studie-fleischkonsum-im-wandel-zahl-der-schlachtereien-sinkt
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