Ich schwöre feierlich, ich bin ein Ja-Sager. Und zwar immer dann, wenn ich eigentlich laut Nein schreien sollte. Ich hab dieses Problem schon ewig und ich bin es auch mit Mitte 20 noch nicht losgeworden. Aber ich arbeite dran.
Sozial sein war nie mein Ding.
Ich war ein ruhiges Kind. (Überraschung.) Das hatte viele Gründe, die kumuliert dafür sorgten, dass ich lieber mit einem Gameboy in einer dunklen Ecke saß als mit Gleichaltrigen zu sprechen. Oder noch schlimmer: mit Erwachsenen. Zwar hatte ich zu Grundschulzeiten relativ viele Freunde, mit denen ich regelmäßig verabredet war – aber allein zu Hause ein Lexikon auswendig zu lernen oder zum 15. Mal die gleiche Spongebobfolge anzusehen, fand ich auch nicht schlecht.
Zusätzlich habe ich sehr viel Zeit bei meinen Großeltern verbracht. Und gerade meine Oma hat mir eingetrichtert, wie wichtig es ist, höflich, freundlich und großzügig zu sein und mit anderen gut auszukommen. Harmonie war ihr extrem wichtig. Wie ich jedoch mit einem möglichen Konflikt umgehe, wusste ich nicht einmal ansatzweise.
Deshalb habe ich angefangen, zu allen Dingen eher Ja zu sagen. Das war die schnellste und leichteste Methode, andere Menschen zufrieden zu stellen. Nur mich meistens nicht. Aber was würden sie von mir denken, wenn ich ablehne? Was, wenn sie mich nicht mehr leiden könnten?
Quälende Fragen für eine 10jährige.
Nudelsuppengate und hässliche Rucksäcke.
So kam ich beispielsweise zum hässlichsten Rucksack der Nation. Den wollte mir meine Oma nämlich zum Start in die 5. Klasse ans Gymnasium schenken und ich konnte ihr einfach nicht sagen, dass ich glitzerndes Neonpink mit Feen nicht mehr cool fand.
Also musste ich ein Jahr mit dieser Ausgeburt der Hölle auf dem Rücken herumlaufen. (Danach ist er durch Zauberhand kaputt gegangen, HOPPALA.)
Und nichts gegen Omas Suppen, aber manche habe ich einfach gehasst. Wenn ich nach der Schule zum Mittagessen bei ihr aufgekreuzt bin und nur die tiefen Teller schon auf dem Tisch gesehen habe, wäre ich am liebsten umgekehrt. Aber nein. Ich hab mich hingesetzt und brav alles hinuntergewürgt, was sie mir hingestellt hat. Das hat auch mal bis 15 Uhr gedauert, aber ich meinte, ich würde das Essen einfach so sehr genießen. Wer’s glaubt.
Mein Nudelsuppenproblem zieht sich bis heute durch. Doch das ist eine andere Geschichte.
Sturm und Drang. Mit relativ wenig Sturm und relativ viel Drang.
Dann ist mir passiert, was allen unvorbereiteten Kindern passiert: PUBERTÄT. Und plötzlich ließen sich meine eigenen Ansichten nicht mehr so gut mit dem vereinbaren, was andere für mich planten. Zumindest wollte ich mich nicht mehr ständig beugen – hatte aber auch keine Ahnung, wie ich meinem Gegenüber sage, dass ich seinen Standpunkt zum Kotzen finde.
Ich wusste nicht, was ich wollte und ich wusste noch viel weniger, wie ich das jemandem beibringe. Gleichzeitig begann ich in dieser Zeit, einen sehr eigenen, sehr sturen, sehr individualistischen Kopf zu entwickeln. Es war mir schon früh wichtig, mein Ding machen zu können. Allein. Ohne Hilfe und Reinreden und gut gemeinte Ratschläge. Aber gerade Eltern halten sich mit ungewollten Tipps ja eher selten zurück. Und so gerieten wir auch immer wieder aneinander.
Ihnen war aber anscheinend schleierhaft, dass ich weder Türen knallte noch laut wurde. Weil ich nicht wusste, wie man kommuniziert, habe ich mich einfach zurückgezogen und sie tagelang angeschwiegen. Wohl in der Hoffnung, dass die Botschaft dann schon irgendwie ankommt.
Das kam sie nie.
Mir war nicht einmal bewusst, dass ich ein Problem hatte. Dass ich weder Grenzen setzen noch freundlich Nein sagen konnte. Und dass ich mich vor Konflikten verkroch, weil ich ja eigentlich von ALLEN gemocht werden wollte.
Damit habe ich mich selbst in Situationen manövriert, für die ich rückblickend nur ein müdes Kopfschütteln übrig habe. Vermutlich hätte ich mir das ein oder andere Trauma ersparen können, wenn ich nur mal was gesagt hätte. Toxische Beziehungen leben hoch. Oder so.
Mit dem Alter wird man weise.
Wie anfangs erwähnt, habe ich mein kleines Ja-Sager-Problem auch mit 25 noch. Ich mache es anderen gern recht und ich lebe gern so harmonisch wie möglich.
ABER – und jetzt kommt der wichtige Punkt – gerade durch die Menschen, mit denen ich mit inzwischen umgebe, habe ich gelernt, wie wichtig Kommunikation ist. Und zwar eine, die für alle Beteiligten funktioniert. Denn mein Seelenfrieden ist mir schlichtweg wichtiger als auf meine Kosten Friede Freude Eierkuchen zu spielen. Ich bin kein Arschloch geworden (und das muss ich auch nicht sein), doch ich weiß, wo ich stehe und wer ich bin. Und worauf ich keine Lust habe.
Meinen ersten Job wollte ich z.B. nicht kündigen, weil ich Angst hatte, meine Kollegen im Stich zu lassen. Obwohl ich behandelt wurde wie Abfall. (Die anderen übrigens auch.) Ich hab erst gemerkt, wie seltsam diese Denkweise ist, als mich mein Partner ziemlich irritiert darauf aufmerksam machte.
Deshalb versuche ich einen guten Mittelweg zu finden. Ich möchte nicht abstumpfen, aber ich möchte auch kein Fußabtreter sein. Dabei haben mir ganz grundsätzliche Dinge geholfen: Ich musste mich damit auseinandersetzen, was ich von mir selbst und von anderen erwarte. Und ich musste lernen, dass mein Nein oft dann auf Ablehnung und wütende Reaktionen stößt, wenn in der Selbstwahrnehmung meines Gegenübers auch irgendwas nicht stimmt.
Leider habe ich kein Patentrezept gefunden, um kein people pleaser zu sein. Es gibt keine Anleitung, nur Ausprobieren und sich selbst besser kennen lernen. Und vor allem ein bisschen mutig sein. Denn „Nein“ kostet Überwindung. Aber „Ja“ kostet meistens noch viel mehr.
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