Halbe Triggerwarnung: Wie beim Beitrag über Fleisch wird es heute um ein eher kontroverses Thema gehen. Wer sich von den Inhalten auf irgendeiner Ebene gestört fühlt oder sich nicht mit ihnen auseinandersetzen möchte, klickt lieber beim nächsten Mal wieder rein. Ich möchte selbstverständlich niemanden ausschließen und finde Austausch/Diskussionen sehr wichtig und gut – aber bitte freundlich und so sachlich wie möglich. 😊
Kind, das ist gut für deine Knochen.
Als ich noch in der Grundschule war, hat mir meine Oma bei jeder Gelegenheit eine Tasse Kakao eingeflößt. Das war zwar auch lecker, sollte aber vor allem meinem Knochenwachstum dienen. Denn in dem braunen Nesquik-Zucker-Gebräu war auch ein bisschen Kuhmilch versteckt. Und das enthaltene Kalzium machte aus mir bestimmt irgendwann Germanys Next Skelettmodel.
Spoiler: Ich bin kein Model geworden. Dafür sind meine Knochen laut Ärzten steinhart. Ob das am Kuhsaft liegt, habe ich nie hinterfragt. Auch nicht, warum ich das Zeug überhaupt trinke. Bis vor Kurzem zumindest.
Warum wir eigentlich Mutanten sind.
Fangen wir doch mal beim Urschleim an. Also wortwörtlich.
Wieso kamen unsere (europäischen) Vorfahren auf die Idee, sich an die Euter eines Säugetiers zu hängen?
Erst mal ist das eine ganze Weile her: Vor ungefähr 7900 bis 7450 Jahren nahmen erstmals Menschen im heutigen Rumänien und Ungarn Milch zu sich. Dort entwickelte sich eine der wichtigsten Kulturen der Jungsteinzeit, die unmittelbar mit den Anfängen der Landwirtschaft in Verbindung steht (www.zeit.de). War das Jagen und Sammeln nicht erfolgreich, sicherte Tiermilch das Überleben. Deshalb hatten Menschen, die Milch vertrugen, ohne sich danach 2 Stunden in einen Busch zu verkrümeln, einen deutlichen Evolutionsvorteil. Denn: Eigentlich waren wir mal allesamt laktoseintolerant. Nur Babys besaßen das Enzym Laktase, das den Milchzucker Laktose aufspalten und so für den Darm verträglich machen kann. Ab dem 5. Lebensjahr wurde dieses Enzym nicht mehr vom Körper produziert – denn das Säuglingsalter war vorbei (ebd.).
Eine Mutation mit dem klangvollen Namen 13,910*T verhindert jedoch, dass die Produktion von Laktase eingestellt wird und macht Milch auch für Erwachsene weiterhin verträglich. Und weil unsere mutierten steinzeitlichen Vorfahren eher mal mit der Hilfe von Milch durch einen harten Winter kamen und sich im Frühling fleißig vermehrten, vertragen heutzutage die meisten Europäer Laktose (www.zeit.de).
[Na ja, ich nicht. Ich hatte allerdings auch alle vier Weisheitszähne und vielleicht wächst aus meinem Steißbein irgendwann ein hübscher Schweif. Evolution ging wohl an mir vorbei.]
Viele, viele Jahre später.
Milchtrinken wurde also aus der Not heraus geboren. Und wenn wir mal ganz ehrlich sind, würden heute die meisten Leute niemals die Milch anrühren, die frisch aus einer Kuh herauskommt. Denn anders als die ultrahocherhitzte und 20-fach abgekochte Variante, die reinweiß und dünn im Tetrapack schwimmt, ist Rohmilch sehr fettig und schmeckt – wie soll ich sagen – ein bisschen nach Kuh. In ihr sind eben alle wichtigen Nährstoffe enthalten, die ein Kälbchen groß und stark werden lassen (www.gesund-vital.de).
Ein Kälbchen.
Keinen 40jährigen 90-Kilo-Muskelmann aus der Vorstadt.
Der Mensch ist tatsächlich das einzige Lebewesen, das nach dem Abstillen noch Muttermilch zu sich nimmt – und dann noch die einer anderen Spezies (www.quarks.de).
Die Gesundheitsfrage.
Ja, wie gesund ist Milch denn nun? Und brauchen wir sie unbedingt, um uns vollwertig zu ernähren?
Denn obwohl die gute Kuhmilch zu 87% aus Wasser besteht, gilt sie nicht als Getränk, sondern als Grundnahrungsmittel: Sie setzt sich vor allem aus Eiweißen, über 400 Fettsäuren und diversen Mineralien und sogar Vitaminen zusammen. Milch ist daher aus Sicht verschiedener Experten einfach ein praktisches und (in dosierten Mengen) durchaus gesundes Lebensmittel (www.quarks.de).
Milch ist allerdings nicht in jedem Land und schon gar nicht auf jedem Kontinent ein Grundnahrungsmittel. Zum Beispiel leben Menschen im asiatischen Raum ziemlich gut ohne. Milchtrinken ist also weder eine Voraussetzung für ein gesundes langes oder krankes kurzes Leben (ebd.).
Von Bauern und Discountern.
Wie beim Fleisch haben wir auch bei der Milch ein massives Problem: Sie ist zu billig. Und zwar in solchem Maße, dass seit 2008 regelmäßig Milchbauern gegen Dumpingpreise protestieren – denn der Grundpreis für einen Liter Milch für einen Familienbetrieb liegt 2017 bei 0,27€. Mindestens 0,40€ müssten es sein, um ein kostendeckendes Nullsummenspiel zu erwirtschaften (www.unicum.de). Zwar fließen jährlich etwa 45 Mrd. Euro EU-Zuschüsse in die Landwirtschaft, doch die 13 Millionen Landwirte, die Zahlungsempfänger sind, ändern nichts am Kurs der eigentlichen Big Player: Die Könige der Lebensmittelindustrie, die an billiger Massenproduktion festhalten und damit die Preise weiter nach unten treiben (ebd.).
Der Bauer von nebenan, dessen Kühe in ihrem Leben auch mal eine Weide aus der Nähe sehen dürfen, zieht da deutlich den Kürzeren. Es lohnt sich kaum, überhaupt Milchvieh anzuschaffen.
Die Mitarbeiter.
Über diejenigen, die die meiste Arbeit verrichten müssen, sollten wir auch sprechen: Die Kühe.
Eigentlich wird eine Durchschnittskuh gute 20 Jahre alt. Eine Milchkuh, die in der Industrie „arbeitet“, wird gerade mal 5 (www.vier-pfoten.de). Kein Wunder: Um überhaupt erst Milch zu produzieren, braucht es ein Kalb, davon bringt eine Hochleistungskuh jedes Jahr eins auf die Welt und ist so fast dauerhaft schwanger (www.unicum.de).
Kommt übrigens ein weibliches Kalb auf die Welt, wird daraus wieder eine Milchkuh. Die Bullen sind eher eine Belastung und werden für 50€ bis 70€ an Mastbetriebe weiterverkauft – für Bauern ist das, schon wieder, ein Nullsummenspiel (ebd.).
Normalerweise steht ein Kalb, bis es alt genug ist, bei seiner Mutter und zapft hier und da ein bisschen Milch. In der Milchindustrie werden Kälber und Mütter allerdings voneinander getrennt. Manchmal wird aus dem Kalb direkt ein Steak oder ein paar neue Handschuhe, in anderen Fällen wird es in Mast- oder Milchbetrieben aufgezogen. Überraschung: Tiere haben durchaus Gefühle und die Trennung löst bei Mutter- und Jungtieren extremen Stress aus (www.quarks.de).
Um das Milchpensum von 50kg Milch pro Tag (!) zu decken, pumpen täglich ca. 20.000l Blut durch einen Euter. Diese Leistung macht die Tiere empfindlicher für Krankheiten wie Euterentzündungen und Fruchtbarkeitsstörungen. Lahme oder kranke Kühe werden aussortiert und zur Schlachtbank geführt: Daher kommen in Deutschland etwa 35% des Rindfleischs (www.tierschutzbund.de).
Ach ja: Weil Hochleistungskühe beinahe die ganze Zeit an Milchpumpen angeschlossen sind, sehen sie – zumindest in industriellen Betrieben – eher selten Sonnenlicht. Wenigstens haben 42% aller deutschen Milchkühe mal eine Weide betrachten dürfen (ebd.).
Initiative Milch.
Bisherige Zusammenfassung: Die Milchindustrie ist ähnlich unangenehm wie die Fleischindustrie und Tierwohl steht sicher nicht an erster Stelle (falls es überhaupt an irgendeiner Stelle steht). Das Dilemma ist allerdings nicht erst seit gestern bekannt und im Zuge von „neuen“ Ernährungsweisen und Lebensstilen erfreuen sich Milchersatzprodukte zunehmender Beliebtheit (www.statista.de).
Als Person, die nach einer Tasse Kuhmilch gern mal den Durchfall des Jahrhunderts hat, kann ich diesen Wandel natürlich befürworten. Ich finde es gut, dass mittlerweile die Auswahl an Ersatz so groß ist (auch wenn ich genauso oft laktosefreie „normale“ Milch trinke).
Dieser Shift gefällt nicht allen Beteiligten, besonders nicht der Milchindustrie. Und deshalb wurde die „Initiative Milch“ ins Leben gerufen.
Erst einmal hier der Link zur Seite, damit ihr selbst stöbern könnt: https://www.initiative-milch.de/
Ich möchte gar nicht so viel vorwegnehmen, da mir hier meine eigene starke Meinung in die Quere kommt. Und Meinungen sind wie ein Penis: Man hält sie anderen Leuten nicht einfach ungefragt ins Gesicht.
Deshalb erzähle ich euch einfach, wofür die „Initiative Milch“ steht.
Grundsätzlich geht es um die Vielfalt des eigentlichen Nahrungsmittels, um nachhaltigere Milchwirtschaft und den Austausch mit Expert:innen, die alle offenen Fragen rund ums Thema Kuhsaft beantworten. An sich eine gute Sache, um schon eher negativ behaftete Thema wieder positiv aufzuladen und einfach Aufklärungsarbeit zu leisten.
[Meine Meinung für alle, die wollen: Was mich die Nase heben lässt, ist eben die Positivität – und dass nur in eine Richtung aufgeklärt wird. Und dass ich mir als Nicht-Mutant irgendwie seltsam vorkomme, wenn es heißt „Ohne Milch, ohne mich“ (- interessanter Slogan, btw). Denn die Website zeigt vor allem Jungbauern, die ihren Job lieben. Und gegen die sagt keiner was. Aber steht irgendwo, dass man sich gegen Dumpingpreise einsetzt und riesige Milchbetriebe vielleicht stärker reglementiert? Leider nicht. Oder dass Milch einfach nicht für alle Menschen weißes Gold in der Frühstücksschüssel Cornflakes ist? Auch nicht. Wäre auch blöd, man will ja fürs Produkt werben.]
Fazit:
Wie bei allen Dingen könnt ihr euch natürlich euer eigenes Bild machen. Das ist auch richtig und wichtig so. Ich persönlich verteufle Milch übrigens genauso wenig wie Fleisch – bin nur der Ansicht, dass häufig zu wenig Aufklärung stattfindet und wir uns nicht genug damit beschäftigen, was wir eigentlich essen und trinken. Ach, und ich liebe Kühe. Daher ist der Beitrag sicherlich nicht zu 100% objektiv. Schaut euch deshalb gern die Quellen an und googelt vielleicht einfach auch selbst noch mal.
In diesem Sinne: Über verschüttete Milch lohnt sich nicht zu weinen.
Quellen:
https://www.zeit.de/online/2009/36/milchtrinken-evolution
https://www.gesund-vital.de/rohmilch
https://www.quarks.de/gesundheit/darum-ist-milch-nicht-giftig/
https://www.quarks.de/umwelt/tierwelt/so-stresst-die-fruehe-trennung-kalb-und-kuh/
https://www.vier-pfoten.de/kampagnen-themen/themen/nutztiere/rinder/lebenserwartung-von-rindern
https://www.tierschutzbund.de/information/hintergrund/landwirtschaft/rinder/milchkuehe/
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1218616/umfrage/konsum-milch-getraenke-nach-art/
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