Eigentlich würde ich gern sagen, dass einzig mein Teenager-Ich ständig diesen Satz gedacht hat, aber das stimmt nicht. Früher wollte ich nicht sein wie andere Mädchen, mit 20 nicht wie andere Frauen. Ich wollte mich abgrenzen von diesen „typisch weiblichen“ Verhaltensweisen, von Röcken und Lippenstift. Nicht, dass ich das ab und zu doch mal ausprobiert hätte – aber dann habe ich mich wieder in Videospiele und viel zu weite Hoodies verkrochen und mich mit meinen männlichen Freunden über Frauen aufgeregt. Denn mit Jungs verstand ich mich ja sowieso viel besser. Die machten weniger Drama.
Urgh.
So, wer sich bis hierhin noch nicht zu mindestens 10% angegriffen fühlt – Glückwunsch. Denn mir selbst ist es mittlerweile unfassbar unangenehm mich mit dieser Gedankenwelt auseinanderzusetzen.
Und wenn ich von „dieser Gedankenwelt“ spreche, meine ich eigentlich internalisierte Misogynie.
Was ist Misogynie?
Weil ich Definitionen mag und mir kein besserer Einstieg einfällt, habt ihr hier erst mal eine:
Misogynie (von altgriechisch misos „Hass“, und gyne „Frau“) oder Frauenfeindlichkeit ist ein Oberbegriff für soziokulturelle Einstellungsmuster der geringeren Relevanz oder Wertigkeit von Frauen beziehungsweise der höheren Relevanz oder Wertigkeit von Männern. Sie wird sowohl von Männern als auch von Frauen selbst über die psychosoziale Entwicklung verinnerlicht und stellt die Erzeugungsgrundlage für den hierarchisierenden Geschlechtshabitus von Männlichkeit und Weiblichkeit dar (M.Rogers, 1966).
Einfacher gesagt: Internalisierte Misogynie ist verinnerlichter Hass gegenüber Frauen, der gleichermaßen von Frauen und von Männern verspürt wird. Grund dafür ist in erster Linie unsere Erziehung und Sozialisation. Wir messen also durchaus schon als Kinder den Jungs/Männern unterbewusst einen höheren Stellenwert bei als Mädchen/Frauen.
Zwar hat der Feminismus große Sprünge gemacht (yay) und ich muss mit 25 nicht mehr verheiratet in der Küche stehen und auf die Heimkehr meines Ernährers warten – unsere Kultur entwickelt sich jedoch langsamer weiter als man das zuerst glauben mag. Heute sind es zwar nicht mehr Aussagen wie „Frauchen gehört an den Herd“, jedoch aber sowas wie „Ich bin nicht so wie andere Frauen.“
Und tatsächlich sind misogyne Denkmuster auch unter bekennenden Feministinnen keine Seltenheit. Zum Beispiel wenn eine Frau, die sich bewusst für die „klassische“ Rollenverteilung von Frau und Mann entscheidet, als Bedrohung für die feministische Bewegung wahrgenommen wird (www.desired.de).
Das ist alles nur in unserem Kopf.
In der Kognitionspsychologie gibt es etwas, das sich Kategorisierung nennt: Wie der Name schon vermuten lässt, ordnet unser Hirn alle Dinge, die wir wahrnehmen, in verschiedene Kategorien ein. Das passiert automatisch und ohne unser Zutun, ist im ersten Schritt weder positiv noch negativ konnotiert. Die Kategorien selbst basieren allerdings auf eigenem theoretischen Vorwissen – sie sind also durchaus von Kultur zu Kultur verschieden (M.I. Jordan, S. Russel, 1999).
Die Bildung von Kategorien ist ein fundamentaler Prozess zur Interpretation unserer Umwelt, zur Bewertung, Entscheidungsfindung und Interaktion. Sie wird daher als wesentliche Grundlage der menschlichen Kulturentwicklung betrachtet (R. Posner, 1999).
Blöd ist nur, dass sich aus den intuitiv gebildeten Kategorien durchaus Stereotype und später Vorurteile entwickeln können. So ist es fast unmöglich einen Fremden beim ersten Kennenlernen nicht in eine personale Kategorie, eine „Schublade“, zu stecken – auch wenn man von sich selbst denkt, absolut objektiv an jemanden herangehen zu können (I.Pache, 1994).
So ist es nicht verwunderlich, dass wir – zumindest in unserer Kultur – Männern und Frauen auch verschiedene Dinge zuschreiben und sie in Kategorien einordnen.
Empathische Gefühlsduselei? Definitiv Frau.
Muskelbepacktes Durchsetzungsvermögen? Muss ein Mann sein.
Dass dem nicht zwingend so ist, muss ich jetzt niemandem sagen. Frauen können alles, Männer können alles, jeder kann alles. Und dass man in der Realität niemals solche scharfen Grenzen ziehen kann und es dutzende Grauzonen und fließende Übergänge gibt, ist eigentlich auch (wie sagte mein Professor?) trivial. Wäre das unseren Fleischklumpen von Hirnen allerdings immer bewusst, gäbe es Dinge wie Rassismus nicht. Abgrenzende Kategorien sind in unseren Begriffen, Vorstellungen und Werten aber allgegenwärtig und die wesentliche Grundlage jeglicher Weltanschauung (E. Laszlo, 1994).
Wie funktioniert Misogynie im Alltag?
Dass wir auch Geschlechter in Kategorien stecken, ist ja eigentlich schon skurril genug. Interessant wird es aber erst, wenn wir Frauen die eigentlich „typisch männlichen“ Eigenschaften zuordnen, um sie damit aufzuwerten.
Klingt irritierend? Leider ist Misogynie genau das.
Auffallend ist, dass Frauen, die nicht unserem verinnerlichten Frauenbild entsprechen, eher positiv wahrgenommen werden. Zum Beispiel, wenn sie Fußball spielen, Bier trinken und nicht zickig sind (keine Sorge, ich ekel mich ein bisschen, während ich das schreibe). „Männliche“ Eigenschaften machen eine Frau also besser.
Machen „weibliche“ Eigenschaften auch einen Mann besser? Eher nicht: Kein Mann, der von sich sagt „Ich bin halt kein typischer Mann“ wird sofort positiver wahrgenommen. Wenn ein Mann eher weiblich gelesene Eigenschaften hat, gern kitschige Liebesfilme schaut und bei Findet Nemo weint, gilt er als schnell als „unmännlich“. Seine „weiblichen“ Eigenschaften mindern also seinen Wert (www.innenansicht-magazin.de).
Wer jetzt immer noch nicht ganz überzeugt ist, hier ein paar Alltagsaussagen, die man so oder so ähnlich sicherlich schon mal gehört oder sogar gedacht hat:
- Frauen, die viel Wert auf ihr Äußeres legen, finde ich total oberflächlich.
- Die meisten meiner Lieblingsfiguren aus Filmen, Serien oder Büchern sind männlich.
- Ich mag keine Produkte, die pink oder geblümt sind oder auf andere Weise offensichtlich für eine weibliche Zielgruppe entworfen wurden.
- Frauen, die Sex mit vielen verschiedenen Menschen haben, müssen sich nicht wundern, wenn man sie „Schlampe“ nennt.
[Notiz am Rande: Bitte habt Sex wie ihr wollt. Verhütet halt. Von so einem Tripper hat man sonst lange was.]
Was kann man gegen Misogynie tun?
Die Frage ist einerseits leicht, andererseits sehr schwer zu beantworten. Kurz und knapp: Bewusstsein schaffen. Bei sich selbst, aber auch bei anderen.
Ich erinnere mich daran, zu genau diesem Thema ein Video gesehen zu haben, das mich erst einmal abgeschreckt hat. Ehrlicherweise war ich für das Ganze einfach noch nicht weit genug und habe die Informationen ziemlich lang beiseitegeschoben. Weil das für mich aber dann irgendwann doch ein guter Einstieg zum Umdenken war, lasse ich euch den Link mal hier: https://www.youtube.com/watch?v=4JbL6VEhXlc
Zusammengefasst ist internalisierte Misogynie kein einfaches Thema. Und vor allem keines, das ich ausschöpfend in einem Blogbeitrag erklären kann. Denn es gibt andererseits auch genügend Studienmaterial, welches darauf hinweist, dass Geschlechts-Nonkonformität für die Betroffenen schon im Kindesalter für Probleme wie Mobbing sorgt (A.L. Roberts et al., 2014).
Geschlechterkonstrukte sind unfassbar kompliziert und wie immer nicht in Schwarz oder Weiß einzuordnen. Sich darüber Gedanken zu machen und sich über eigene Verhaltensweisen mehr bewusst zu werden, ist aber wichtig und gut. Deshalb der Beitrag heute.
Kuss auf die Nuss an alle.
Quellen:
Katharine M. Rogers: The Troublesome Helpmate. A History of Misogyny in Literature. Seattle 1966, S. 268.
https://www.desired.de/lifestyle/internalisierte-misogynie/
Dr. Andrea L. Roberts, Ph.D., Dr. Margaret Rosario, Ph.D., Dr. Natalie Slopen, Sc.D., Dr. Jerel P. Calzo, Ph.D., and Dr. S. Bryn Austin, Sc.D.: Childhood Gender Nonconformity, Bullying Victimization, and Depressive Symptoms Across Adolescence and Early Adulthood: An 11-Year Longitudinal Study. 2014.
M. I. Jordan, S. Russel: Categorization. In: The MIT Encyclopedia of the Cognitive Sciences. MIT Press, Cambridge 1999, S. 104–106.
Roland Posner: Kultur als Zeichensystem: Zur semiotischen Explikation kulturwissenschaftlicher Grundbegriffe. In: Aleida Assmann, Dietrich Harth (Hrsg.): Kultur als Lebenswelt und Monument. Fischer, Frankfurt am Main 1991, S. 37–74.
Ilona Pache: Ethnisch-kulturelle Personenbezeichnungen. Zur kategorialen Organisation von Diskurs und Gemeinschaft. In: Siegfried Jäger (Hrsg.): Aus der Werkstatt: Antirassistische Praxen. Konzepte – Erfahrungen – Forschung. Duisburg 1994, S. 291–302.
Ervin Laszlo: System-Theorie als Weltanschauung. Diederichs, München 1998, S. 23–24.
https://innenansicht-magazin.de/2017/11/18/internalized-misogyny/
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