Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern zu viel Zeit, die wir nicht nutzen, sagte eventuell einmal Seneca, ein großer römischer Philosoph und Schriftsteller. Wahrscheinlich hätte er nicht gedacht, dass sein Zitat irgendwann im Großraumbüro über den Köpfen deadlinegepeitschter Angestellten schwebt.
(Vermutlich zusammen mit einer der vermeintlichen Aussagen Henry Fords, die im Kern alle das gleiche bedeuten: ARBEITE GEFÄLLIGST HÄRTER.)
Denn „Ich habe heute eine Menge auf dem Tisch“ oder „Das lassen meine Kapazitäten nicht zu“ oder „Da muss ich wohl länger bleiben“ höre ich im Arbeitsleben sehr oft. Die Zeit, die wir haben, ob viel oder wenig, wird bis oben hin mit Aufgaben vollgestopft. Und das nicht selten ohne ein kleines zufriedenes Lächeln, weil der innere Packesel munter To-dos von A nach B schleppt.
Würde natürlich niemals jemand zugeben. Aber ein bisschen sehen wir schon auf die Leute herab, die an einem normalen Dienstag einfach mal nichts getan und nichts gerissen und nichts geschafft haben. Nichts machen ist nämlich nur für Sonntage. Dann ist es gesellschaftlich okay, auf der Couch zu versauern und mit halbaufgerissenem Auge an Montag zu denken. Da gibt’s immerhin endlich wieder Beschäftigung für die ewig Beschäftigten.
Dreißigeinhalb schnelle Tipps, wie du 40 Minuten in 4 steckst.
Als ich mich ein wenig für diesen Beitrag auf Google herumgetrieben habe, bin ich nicht zuerst auf Studien zum Thema Produktivität gestoßen. Das Schlagwort führte mich viel mehr zu Seiten wie Arbeits-ABC und Karrierebibel, die mich mit Ratschlägen zur Effizienzsteigerung bombardierten. Und wenn ich gerade dabei bin, kann ich neben der Arbeit ja auch gleich mein ganzes Leben optimieren.
Fantastisch.
Versteht mich nicht falsch: Ich hasse das Drumherum, aber ich liebe es zu arbeiten. Jetzt nicht unbedingt im Braunkohlebergwerk. Doch einer Sache nachzugehen, die mir Spaß macht und mein Hirn beansprucht und vielleicht noch ein bisschen Geld abwirft – das Konzept mag ich. Und ich neige dazu, falls der Spaß sehr groß ist, Arbeit und Freizeit zu vermischen.
Nach benanntem faulem Sonntag fühle ich mich regelrecht schlecht. So schlecht, dass ich mir wertlos vorkomme, weil ich meinen Körper nicht vom Sofa gekratzt habe.
Und das ist schwierig.
Zeit ist Geld – und genauso ungerecht verteilt.
Wahrscheinlich würde im ersten Moment keiner Zeit als ein Konsumgut betrachten, das die einen sich leisten können und die anderen eben nicht. Und vielleicht ist sie keine Designerhandtasche – aber auch nicht jeder Mensch besitzt sie fair zu gleichen Teilen.
Keine Zeit zu haben, ist kein individuelles Jasmin-Problem, sondern gesellschaftlich erzeugt. Denn mir sitzt der Sekundenzeiger anders im Nacken als einer berufstätigen alleinerziehenden Mutter, die gerade so sich und ihre Kinder über Wasser hält.
Dann zu sagen „Ich mache heute mal gar nichts“, das kann sich nicht jeder erlauben. Auch faule Couch-Sonntage haben mit Privilegien zu tun, die nur ein ausgewählter Personenkreis genießen kann. Dass ich also überhaupt die Möglichkeit habe, mal theoretisch ein ganzes Wochenende nur dem Rumdödeln zu widmen, ist viel wert.
Das wiederum auch wertzuschätzen, fällt mir schwer.
In meiner Welt ist „Ich muss gleich wieder weiter“ beinahe ein Statussymbol. Wenn bei Outlook der Terminkalender aus allen Nähten platzt, fühlt man sich als hätte man richtig was erreicht. Als wäre man wichtig und ein zentraler Bestandteil irgendetwas…Größerem?
Weil man an seiner Karriere arbeitet? Oder sein Leben im Griff hat?
Oder weil man anderen sagen kann, man hätte eine Menge zu tun?
Wieso fühlt es sich oft so befriedigend an, Termine zu haben?
Überlebensstrategien.
Vermutlich ist es ein Zusammenspiel aus vielen verschiedenen Dingen. Es geht nämlich hierbei nicht einmal so sehr um Arbeit, sondern um alle Termine, die wir wahrnehmen. Ob ich mich mit Freunden treffe oder zum Zahnarzt gehe, ich bin auf jeden Fall beschäftigt.
Und was tue ich nicht, wenn ich mich 24/7 beschäftigt halte?
Zum Beispiel mache ich nicht sowas Gruseliges wie über mein Leben nachzudenken. Meine Vergangenheit – oder noch schlimmer – meine Zukunft.
Zur Ruhe zu kommen würde bedeuten, meinen Gedanken einen Raum zum Umherwandern zu geben. Das finden die meisten Leute gar nicht mal so angenehm. Spätestens, wenn man abends nicht einschlafen kann und zwei Stunden mit aufgerissenen Augen an die Decke starrt, wünscht man sich wirklich Ablenkung. Und greift vielleicht zum Smartphone, um sich ein bisschen berieseln zu lassen.
Dem Hirn nicht ständig Auslauf zu gewähren, kann sogar gut sein: Im Alltag hilft es mir nicht, wenn ich mitten im Rewe an Kasse 3 anfange, über all die verpassten Chancen in meinem Leben zu sinnieren.
So eine Art der Verdrängung ist lebenswichtig. Sie ist eine Coping-Strategie, damit unsere Köpfe Eindrücke, Erinnerungen und Gedanken besser sortieren können.
Jetzt kommt, wie immer, ein großes Aber: Denn einerseits ist die ständige Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst nicht immer hilfreich und zielführend. Andererseits MUSS ich mir Gedanken um mich machen. Zumindest, wenn ich Muster erkennen und mich weiterentwickeln will.
Denn wer möchte schon ewig am gleichen Ort verharren? Also gehirnmäßig.
Zeit hat man nicht, Zeit nimmt man sich.
Und auch hier sollte ich dazusagen: Sich in der Woche auch nur eine Stunde hinzusetzen und mit sich selbst zu beschäftigen, das ist ein privilegiertes Vorgehen. Viele Menschen könnten das durchaus tun, weil sie die Zeit theoretisch hätten – aber eben nicht haben wollen. Und viele Leute können genau das nicht, weil sie die Zeit nicht haben – aber gerne hätten.
Es gibt also durchaus zwei verschiedene Arten von „Ich hab keine Zeit“.
Die eine ist wie ein fabrikneuer Porsche – man führt sie aus und zeigt sie anderen und ist in selbstgefälliger Weise ein bisschen stolz auf die ganzen Termine und den Stress. Immerhin ist man ja ein produktiver Teil der Gesellschaft und leistet was.
Und die andere ist der erschreckend mühsame Versuch, sich irgendwie über Wasser zu halten. „Ich mach heute mal nichts“ ist da im Grunde nicht drin. Obwohl es wahrscheinlich bitter nötig wäre.
Produktivität zu einem Fetisch zu erheben, ist deshalb gar nicht für alle Leute möglich und vor allem nicht für alle eine gute Idee.
Was ist also das Fazit?
Setzt euch hin und atmet mal durch. Wenigstens für 10 Minuten. Nicht alle Deadlines sind es wert, dass man sich halb für sie umbringt. Auch ich muss mir das selbst immer wieder klar machen. Werdet euch bewusst, dass eure Zeit individuell euch gehört und nicht jeder Mensch das gleiche Kontingent besitzt.
Und dass es vollkommen in Ordnung und gut ist, einfach mal rumzueiern und nichts zu tun.
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