Ich bin eigentlich gar nicht so eine investigative Journalistentante und obwohl ich hier auch durchaus mit Quellen um mich werfend die Gesellschaft an den Pranger stelle, will ich heute einfach nur ein bisschen erzählen.
Und zwar von meinem letzten Heimaturlaub.
Reise, Reise.
Was sich anhört, als wäre ich von der Front zurückgekehrt, war nur ein Besuch bei meiner Schwester im September. Sie wohnt zurzeit auf einem Dorf mit vielleicht 5 Seelen, Tiere mitgezählt. Dass da nicht gerade der Bär steppt, war mir schon vorher bewusst. Ich hatte also die Mitbringsel für meine Nichten zusammengepackt, den Mann moralisch auf die Einöde vorbereitet und mich dann auf ein schönes Wochenende gefreut.
Und weil meine Schwester nicht besonders viel Platz hat, entschieden wir uns dafür, in meiner alten Studentenstadt zu übernachten – ungefähr eine Stunde weit vom Dorf meiner Schwester entfernt.
Ernüchterung.
Ich hatte mich wirklich auf Jena gefreut. Immerhin mochte ich als Studentin einfach alles daran. Kurze Wege, lauschige Kneipen, bekannte Gesichter. Nach meinem Umzug nach Düsseldorf hat mich einige Male richtiges Heimweh gepackt. Ich vermisste die gute Zeit, die ich mit meinen Freunden hatte – und verwechselte das wohl mit der Liebe zur Stadt an sich.
Als wir nach geschlagenen 5 Stunden Autofahrt also ankamen, fühlte ich mich zuerst wieder wie Zuhause. Schließlich kenne ich jeden Fleck immer noch in- und auswendig. Ich war ziemlich froh, dass sich in der Zeit meiner Abwesenheit nichts verändert hatte.
Rein. Gar. Nichts. Sogar die Kellner in den Restaurants und Bars waren die gleichen geblieben.
Was ich anfangs tröstlich gefunden hatte, kam mir nun klein vor. Einengend. Fast erstickend.
Wie konnte es sein, dass sich dieser Ort kein Stück weiterentwickelt hatte?
Ich schüttelte innerlich den Kopf. Was für ein dämlicher Gedanke. Warum sollte er sich weiterentwickelt haben? Die Stadt war nach wie vor schön, belebt von Studenten und klein genug, dass sie noch gemütlich war. Hier gab es, neutral betrachtet, alles, was man zum Leben braucht.
Ja. Was man zum Leben braucht. Aber vielleicht nicht mehr ganz, was ich zum Leben will.
Die Wahl.
Ist klar, ich klinge jetzt sehr großstadtverwöhnt. Ich muss zugeben, dass ich das auch bin. Nicht, weil ich hier jeden Tag die Königsallee hoch und runter gehe, um mich bei Gucci mit Diamanten besticken zu lassen – es wäre aber möglich. Und genau die Möglichkeiten habe ich zu schätzen gelernt.
Ich könnte mich in die nächste Bahn setzen und im japanischen Viertel Ramen essen. Danach könnte ich mir irgendeine coole Ausstellung ansehen, denn es gibt immer eine. Oder ich gehe ins Theater oder Lasertag spielen oder lasse mich von oben bis unten tattoowieren, weil es an jeder Ecke einen anderen Laden gibt. Ich könnte mich auch einfach nur an den Rhein pflanzen und Frachter beim Schippern beobachten.
Nicht, dass ich all das an einem Tag machen würde. Dafür sind meine sozialen Batterien viel zu klein und meine Geduld zu gering. Aber ich könnte. Und ich liebe es, die Möglichkeit zu haben. Die Freiheit. Die Wahl.
Die Sache mit dem Job.
Welche Wahl ich auch gern habe, ist die über meinen Beruf. Leider siedeln sich viele große Konzerne immer noch eher im Westen Deutschlands an. Auch wenn das langsam weiter aufgeweicht wird, passiert es mir hier schneller, mit meinen Fähigkeiten in einem großen, renommierten Unternehmen zu landen.
Und wenn ich darauf überhaupt keinen Bock habe, suche ich mir eins von unzählig vielen kleineren aus.
Mit Kommunikationswissenschaften und meinem Texterwissen käme ich in Thüringen nicht sonderlich weit. Sicher fände sich die ein oder andere Firma, aber gerade als Berufsanfänger hätte ich eindeutig größere Schwierigkeiten gehabt als in NRW. Wäre ich in Jena geblieben, hätte ich vermutlich nach Leipzig pendeln müssen, um in einer Werbeagentur Fuß zu fassen.
(Nicht falsch verstehen: Die gibt es auch in Jena. Aber erstens nicht viele. Und zweitens muss man sich ja gegenseitig auch gut finden und nicht Resterampe-mäßig einfach nehmen, was eben grad da ist. Das kann zwar funktionieren – wäre für mich aber keine gute Option gewesen.)
Zu Hause fremd.
Ihr merkt, ich schweife etwas ab. Also zurück zur Reisegeschichte:
Da standen wir also in Jena auf dem Marktplatz und ich kam mir vor wie eine Betrügerin. Hatte ich dem Mann nicht noch letztes Weihnachten in den Ohren gelegen, dass ich unbedingt zurückziehen wollte? Und nun betrachtete ich meine Füße auf dem Pflasterstein und wusste nicht mehr, was ich von meinem eigenen Plan hielt.
Ich sah mich um und erklärte ihm ein paar Dinge und erinnerte mich an so viele wunderbare Momente, in denen ich hier sehr glücklich gewesen bin. Jetzt lag mir mein eigenes Lachen wie Hohn in den Ohren.
Da sich Jena nicht verändert hatte, hab ich das offenbar getan.
Ich war mir nicht sicher, ob ich das gut fand. Und eigentlich wollte ich mich wieder ins Auto setzen, meinen kleinen Kulturschock vergessen und streichen, dass ich jemals etwas annähernd Negatives über diese Stadt gedacht hatte. Ich wollte meine rosafarbene Blase zurück. Aber die hatte ich schon beim Ortseingangsschild zum Platzen gebracht.
„Und wie ist das so, wieder hier zu sein?“
Als wir später bei meiner Schwester saßen und ich meiner Nichte zum 27. Mal einen Mond malen musste, wurde mir die Frage gestellt, vor der ich beinahe Angst hatte.
„Und wie ist es so im Osten???“
Mir wurde fast ein bisschen schlecht. Gehörte ich denn nicht mehr dazu? War ich plötzlich eine Fremde in meiner eigenen Heimat? Ich schluckte die vielen schlechten Gefühle herunter und versuchte so positiv wie möglich zu antworten.
Letztlich hab ich immer wieder gesagt, wie anders alles wäre. Mehr fiel mir auch nicht ein. Keine Hymne auf die Großstadt. Und kein Spott über die kleinere.
Was hätte ich auch sonst erwidern sollen? „Schrecklich hier, ich vermisse die Bananen“ ?
Meine Schwester nickte und meine Nichte verlangte den nächsten Mond. Himmel sei Dank.
Heimat.
Zeit für eine melodramatisch kitschige Zusammenfassung, oder?
Na ja, nicht ganz.
Als wir nach diesem Wochenende auf der Rückfahrt über die Autobahn bretterten, hatte ich genug Zeit, meinen Gedanken nachzuhängen. Das waren einige. Denn zuerst war ich überrumpelt davon, wie klein und langweilig mir Jena vorkam. Dann dämmerte mir aber allmählich, dass es nie die Stadt war, die ich gernhatte – es waren die Leute darin. Kommilitonen, Freunde, Kollegen. Sie füllten die Gassen für mich mit Leben. Sie haben viele Dinge sehr viel besser gemacht.
Es gibt immer Menschen, die sagen, zu Hause sei kein Ort.
Ich hab das für Schwachsinn gehalten, denn wenn ich mit Freunden in unserer Stammbar saß, habe ich mich jedes Mal sehr heimisch gefühlt.
Das ist wohl des Pudels Kern.
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