Über Geschmack lässt sich nicht streiten – das wissen wir schon mal. Dinge, die ich rein äußerlich an anderen Menschen gut finde, sind für euch vielleicht ganz schrecklich. Und andersrum. Worüber sich leider nicht streiten lässt, ist das: Menschen, die laut unseren sozial-gesellschaftlichen Beautystandards allgemein als „schön“ bezeichnet werden, haben es im Leben oft leichter. Ob nun bewusst oder unbewusst, sie genießen Vorteile bei der Jobsuche, der Partnerwahl, beim Einkaufen und sogar beim Arztbesuch. Pretty Privilege nennt sich das Ganze, das Privileg einfach hübsch zu sein.
Schönheit im Auge des Betrachters.
In meiner Studienzeit hatte ich in Psychologie genau zwei Vorlesungen zum Thema Schönheit. Und daraus waren wiederum genau zwei Dinge wesentlich: Erstens spielt die Symmetrie eines Gesichtes eine zentrale Rolle bei der Beurteilung, ob es nun als schön wahrgenommen wird oder nicht. Zweitens schrecken uns „zu schöne“ Gesichter ab – sie wirken surreal, weil Mutter Natur nichts erschafft, an das man passend ein Geodreieck anlegen könnte (www.spektrum.de).
Letztlich haben wir in unseren Breitengraden also doch alle einen recht ähnlichen Geschmack und bewerten andere Personen zumindest auf den gleichen Grundlagen nach ihrem Äußeren. Stapeln wir auf einen fast perfekt symmetrischen Menschen nun noch unsere gesellschaftlichen Standards von Schönheit, erhalten wir etwas, das die breite Masse wohl als attraktiv und hübsch bezeichnen würde.
Aktuell finden wir bei Frauen übrigens folgende Sachen super: Glatte/reine Haut (um Himmelswillen nirgends Haare, nur auf dem Kopf, aber dort bitte auch kein Busch), relativ große Boobies, schmale Taille, Bauch ist okay (wenn er winzig ist), Hintern ist okay (wenn er groß ist – aber nicht zu groß, eher trainiert), leicht gebräunt (nicht zu hell, nicht zu dunkel), volle Lippen (im Gesicht), hohe Wangenknochen (notfalls unterspritzen), Sommersprossen (sind jetzt allerdings langsam nicht mehr im Trend), große Augen (Kindchenschema), (www.gesunder-koerper.info).
Puh.
Und ich weiß, allmählich kehren sich auch diese Standards in eine „gesündere“, aber vor allem erfüllbarere Richtung. Dennoch werden uns diese Dinge besonders auf sozialen Medien als ideal schön vermittelt und wir setzen deshalb auch dort den Bewertungsmaßstab an (www.pulse.ng).
[Liebe Menners: Ich habe hier nur Frauen aufgezählt, weil es mir aus dieser Perspektive leichter fällt zu schreiben. Mir ist bewusst, dass auch für euch Beautystandards gelten, die à la He-Man einfach nicht realistisch sind. Fühlt euch also trotzdem gern angesprochen.]
Das Attraktivitätsproblem.
Stellen wir uns nach diesem Baukastensystem einfach mal eine Frau vor, die allen Standards entspricht. Denn hier haut das Pretty Privilege jetzt ziemlich rein:
Unser Gehirn liebt Attraktivität. Es bewertet schöne Menschen automatisch als vertrauenswürdiger, verantwortungsvoller, durchsetzungsfähiger, charmanter und sympathischer als andere Personen (www.funklust.de). Unsere Schema-F-Frau hat damit in Bewerbungsgesprächen (vor allem im Zusammenhang mit kundenbezogenen Jobs) eine größere Chance, eingestellt zu werden. Beim nächsten Arztbesuch werden ihre Beschweren ernst genommen und nicht sofort auf ihr Gewicht zurückgeführt, wie bei Menschen, deren BMI nicht dem gängigen Idealtypus entspricht (https://berta.stura.org). Beim Einkaufen wird sie an der Kasse mit höherer Wahrscheinlichkeit vor gelassen und bekommt abends in der Bar eher mal einen Drink ausgegeben (www.funklust.de).
Nicht, dass sie nicht für ihren Erfolg arbeiten müsste: Niemand kann etwas für sein Gesicht (und nur bedingt für seinen Körperbau). Aber sie hat es im Vergleich zu jemandem, der nicht zu 95% als attraktiv wahrgenommen wird, immer ein bisschen leichter.
[Das hier ist übrigens kein Hübsche-Frauen-Bashing. Dass wir uns bei der Bewertung anderer Menschen immer noch auf soziokulturell und auch medial kreierte Standardmerkmale verlassen, ist ein strukturelles Problem – kein personenbezogenes.]
Pretty Privilege und Generation Z.
Die Generation Z, also zum großen Teil die jungen Menschen, zu denen Maxi und ich schon gar nicht mehr gehören, sind mit Social Media aufgewachsen. Sie kennen das Internet gar nicht ohne YouTube und Instagram und TikTok – und werden tagtäglich mit Bildern und Videos von fast schon verstörend attraktiven Menschen konfrontiert (www.funklust.de).
Diese wiederum bearbeiten ihre Bilder, legen Schönheitsfilter über ihre Videos und waren zum Teil auch schon bei Schönheitschirurgen zu Gast. Ihr Pretty Privilege wird damit durchaus zum Vorteil: Denn der Durchschnitts-Teenager mit Akneproblemen vergleicht sich jetzt nicht mehr nur mit den besten Freunden, sondern mit den hübschen Personen von Social Media – und ist mit Sicherheit bereit, auch die 25. beworbene Hautpflegeserie zu kaufen, wenn sie denn nur hilft, genauso auszusehen wie das Influencer-Vorbild (ebd.).
Wir sollten umdenken.
Wie am Anfang gesagt: Schönheit liegt im Auge des Betrachters und 2022 betrachtet dich dank Social Media gefühlt die ganze Welt. Zwar sind wir uns bewusst, dass es keinen perfekten Körper gibt und die Ideale, die uns täglich über den Weg laufen, einfach nicht zu erreichen sind – aber trotzdem wird Diversität nur dann gefeiert, wenn sie eben nicht zu divers ist. Wenn sie junge Menschen zeigt und alte nur, wenn die Haut noch glatt ist. Wenn sie farbige Menschen abbildet, aber dann bitte auch nicht zu viele.
Selbst Diversität wird somit immer noch ein Mantel aus Schönheitsstandards übergestülpt. Und es ist allmählich an der Zeit, damit aufzuhören.
Quellen:
https://www.spektrum.de/news/symmetrische-schoenheit/964893
https://www.gesunder-koerper.info/aesthetik/sind-die-heutigen-beauty-standards-gefaehrlich/
https://www.funklust.de/2021/11/pretty-privilege-weil-schoenheit-uns-erfolg-verspricht/
https://berta.stura.org/was-du-schon-immer-ueber-fat-shaming-wissen-wolltest
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