In letzter Zeit treibe ich mich ziemlich häufig auf TikTok herum und sehe in vielen verschiedenen Videos, dass immer wieder die gleichen Bücher in die Kamera gehalten und empfohlen werden. Meistens sind das echte Schätze, die super interessant sind – aber auch dutzende Young Adult Bücher, die mich im Grunde nicht wirklich jucken. (Young Adult kann auch super interessant sein, ist nur eben nicht das, was ich so lese.)
Maxi hat mir allerdings vor ein paar Jahren mal den ersten Teil der After-Reihe geschenkt, den ich – warum auch immer – innerhalb weniger Tage inhaliert habe. Obwohl er in die Young Adult Sparte reinfällt. Genau das scheint aber auch auf TikTok das Genre zu sein, dass die meisten Leute gerne mögen. Und auch genau diese Reihe wird immer noch sehr gehyped.
War keine besonders schwierige Kost und deshalb auch schnell weggeatmet und ich fand den ersten Teil derart beschissen, dass ich mir gleich noch den zweiten bestellt habe. A la „vielleicht kann ich mich dazu zwingen, dass es mir gefällt“.
Also habe ich mich trotz häufigen Würgereizes auch durch den zweiten Band gequält. Und finde nach wie vor, dass ich das Ding eher zum Heizen hätte benutzen sollen.
Ich liebe ja Bücher und auch wenn mir eins gar nicht gefällt, kritisiere ich normalerweise nie derart vernichtend. Warum ich das hier aber trotzdem tue?
Weil jede Seite vor Gift förmlich klebt.
Warum wir toxische Beziehungen eingehen – und in ihnen bleiben
Tessa und Hardin, die beiden Protagonisten in den After-Büchern, führen eine On-Off-Beziehung wie sie, na ja, im Buche steht. Sie streiten sich, versöhnen sich, streiten sich, versöhnen sich, streiten sich, versöhnen sich – ihr wisst schon. Mich persönlich hat dieses Verhalten sehr gestört und die Hauptpersonen nicht gerade sympathischer gemacht. Außerdem war irgendwann relativ leicht abzusehen, wann einer der beiden den nächsten Streit provoziert und das Verhältnis mal wieder auf der Kippe steht.
Was mich dennoch stutzig gemacht hat: Warum kommt diese Buchreihe so gut an? Wieso feiern Menschen das Romantisieren toxischer Beziehungen?
Natürlich ist auch daran wieder einmal unsere eigene Psyche Schuld.
Aber fangen wir kurz mit dem Urschleim an: Im Alltag verwenden wir das Wort „toxisch“ verallgemeinernd, wenn uns andere (psychisch) schaden. Meistens erfüllen diese Personen ganz bestimmte Charakteristika. Zum Beispiel fehlt ihnen das Verständnis für eine gesunde zwischenmenschliche Beziehung, sie sind empathielos, merken das aber selbst nicht – deshalb sind sie häufig stark von sich überzeugt und wirken als wären sie über verschiedene Situationen erhaben (www.warda.at, 2020).
Dieses Selbstbewusstsein geht oft mit Manipulation und Kontrolle einher. Was jedoch negativ klingt, wirkt auf uns im ersten Moment durchaus anziehend, wenn nicht charismatisch – und wir bekommen das Gefühl, diesem Menschen nicht gewachsen zu sein und ihn sogar verlieren zu können (ebd.).
Nun sind gerade Menschen in schweren Lebensphasen oder mit eher geringem Selbstwertgefühl wahre Magnete für toxische Beziehungen. Denn meist wird in diesem Fall das gesamte Selbstbewusstsein aus einer ohnehin schon wackligen Verbindungen mit einer anderen Person gezogen. Aus diesem Grund ist es auch schwer, sich aus dieser Beziehung zu „befreien“.
„Ich kann ihn ändern!“
Ich gehe jetzt mal ganz bewusst auf Frauen in heterosexuellen Beziehungen mit Männern ein. Denn das ist klassischerweise auch das Bild, das uns medial gezeichnet wird.
Um dabei zurück zu Tessa und Hardin zu springen: Tessa beginnt gerade ihr Studium, hat einen lieben, bodenständigen Freund und liest gern. Die graue Maus in Person. Hardin hingegen ist von oben bis unten tattoowiert, gepierct und gibt eigentlich nur abschätzige Kommentare von sich. Der klischeehafteste Bad Boy seit Christian Grey.
Jedenfalls lernen sich die beiden ein bisschen besser kennen und stellen irgendwann fest, dass sie das gleiche Lieblingsbuch haben. Überraschung, der Bad Boy kann lesen und hat eigentlich einen ganz weichen Kern, weil schlimme Vergangenheit. Wer hätte es kommen sehen?
Und warum steht sie jetzt auf jemanden, der eigentlich nur Streit und Frust bedeutet?
Die Teenie-Zeitschrift Mädchen hat da eine ganz interessante Theorie:
„Wir (Mädchen) steht auf Abenteuer und finden schlechtes Benehmen attraktiv. Crazy! Bei einem Good Guy wird es den meisten Mädchen schnell zu langweilig. Wir wollen einen Boy an unserer Seite haben, auf den alle Girls stehen und der selbstbewusst ist – so fühlen wir uns besonders.“ (www.firstlife.de, 2020).
Jetzt könnte man die Mädchen halt auch einfach ignorieren, aber tatsächlich verkauft die Zeitschrift 2021 immer noch 32.000 Auflagen an Jugendliche zwischen 13 und 17 (www.statista.de, 2021). Denen wird also ein ziemlich verqueres Bild vermittelt – und mit keinem Sterbenswörtchen erwähnt, dass „Good Guys“ vermutlich mehr Sicherheit, Stabilität und Seelenfrieden bedeuten (und nicht immer bloß Langeweile).
Bücher, Filme und Zeitschriften suggerieren also schon jungen Frauen, dass der Antiheld immer das meiste romantische Interesse hervorruft. Und dass man ihn mit nur einem bisschen Liebe und Zuwendung in einen vollkommen netten Menschen wandeln kann.
In einen vollkommen netten Menschen.
Einen Good Guy.
Moment mal.
Realität vs. Fiktion
Wenn ihr jetzt denkt, ich hab gut Reden: Ich habe nicht nur eine vollkommen vergiftete Beziehung hinter mir, sondern hatte Zeit meines Lebens auch ein Herz für die Bösen. (Eigentlich immer noch.) Sie sind interessant, mysteriös, unberechenbar, kaputt – ein einziges Abenteuer. Tatsächlich mag ich sie in Büchern, Filmen und eigentlich überall, solange sie fiktiv sind und eine wirkliche gute Backgroundstory haben. (Hardins Charakterdesign kam mir leider immer super oberflächlich vor. Als würde er nur einen Grund zum Trinken, Mobiliar zerstören und Schreien suchen.)
Aber: Oft lese ich dann, dass Mädchen und junge Frauen auch in Wirklichkeit gern so einen Mann daten würden. Und da muss ich euch sagen: Nein. Wollt ihr nicht. Oder vielleicht nur drei Minuten. Denn erstens ist das Abenteuer nur in den ersten Wochen spannend und zweitens könnt ihr keinen Menschen (mit tiefgreifenden Problemen) einfach so verändern – ihr seid Partnerinnen und keine Therapeutinnen.
Letztlich könnt ihr lesen und anschauen, was ihr möchtet. Aber ihr solltet euch darüber im Klaren sein, dass an toxischen Beziehungen rein gar nichts Romantisches ist. Früher oder später leidet man an der psychischen Belastung – und das macht noch so viel Liebe nicht wett.
PS.: Ich müsste mal einen fundierten Beitrag mit vielen vielen Quellen über Toxizität schreiben, denn die Medien, die wir täglich konsumieren, sind voll davon. Und vermitteln gerade Teenagern ein völlig falsches Bild von Zwischenmenschlichkeit. Denn toxisch können nicht nur Partnerbeziehungen, sondern auch Freundschaften oder sogar die Beziehung zur eigenen Familie sein. Da mir aber momentan die Zeit fehlt, ist das hier erst einmal der Anfang.
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