Ich liebe Sprache. Sie ist lebendig, sie ist Ausdruck, sie bildet die Essenz ganzer Kulturen ab. Was Deutsch etwas hart und kühl klingen lässt, ist im Französischen fast schon kuschlig weich. Auf Russisch gibt es (für uns) plötzlich ganz andere Schriftzeichen und von Japanisch will ich in dem Zusammenhang gar nicht erst anfangen.
Sprache lässt uns zugehörig fühlen und macht uns zu dem, was wir sind. Dass wir ein so mächtiges Instrument jeden Tag gebrauchen, ist extrem faszinierend. Aber manchmal auch problematisch: Worte haben Macht. Sie steuern – oft unbewusst – unsere Haltung gegenüber uns selbst und auch gegenüber anderen. Umso wichtiger ist es, dass wir uns vor Augen führen, wie uns bestimmte Umschreibungen und Phrasen beeinflussen. Und wieso man sie deshalb nicht mehr verwenden sollte.
Denkt jetzt nicht an einen blauen Elefanten.
Fangen wir doch mit einem Gedankenspiel an: Ich zähle ein paar Wörter auf und ihr registriert mal, welches Bild euch als erstes in den Kopf schießt.
- Asyltourismus
- Flüchtlingswelle
- Gutmensch
- Lügenpresse
Die Sache ist die: In unserem Gehirn ist unser gesamtes Wissen über die Welt abgespeichert. Denken wir an einen Hammer, erscheint nicht nur die objektive Projektion des Werkzeugs – die passende Handbewegung ist meistens gleich mit dabei (www.tagesspiegel.de). Dieses Muster abzurufen ist wichtig, denn sonst könnten wir Wörtern keine Bedeutung zuschreiben.
Denken wir wiederum an eine Flüchtlingswelle, zerlegt das Gehirn das Wort in die Konzepte „Flüchtling“ und „Welle“. Und jeder, der mal von einer Welle von den Füßen gerissen wurde, weiß, wie bedrohlich sie sein kann. In Verbindung mit „Flüchtling“ kommen uns Asylsuchende plötzlich gefährlich und beängstigend vor.
Psychologisch nennt sich dieser Prozess „Framing“. Ganz stumpf erklärt: Rahmenbildung. Damit der Fleischklops in unserem Kopf nicht explodiert, brauchen wir Kategorien, um unsere Umwelt möglichst schnell und einfach zu scannen und einzuordnen (www.quarks.de). Hören wir also z.B. den Namen einer geliebten Person, ruft das Hirn sofort das Konzept „Name X“ ab – mit allen dazugehörigen Infos, Emotionen und Erinnerungen.
Framing kann daher beeinflussen, mit welchen Eigenschaften wir Personengruppen verbinden. Studien haben gezeigt, dass wir Ausländer:innen negativer bewerten, wenn wir gerade Zeitungsartikel über kriminelle Aktivitäten von Menschen mit anderer Herkunft gelesen haben – auch dann, wenn wir eigentlich keine Vorurteile haben wollen (ebd.).
Zensur? Oder eher doch nicht?
Wir halten fest: Sprache spiegelt konstruierte Realitäten wider (www.dguv-lug.de). Framing ist daher ein fester Bestandteil von Sprache, macht sie jedoch niemals neutral. Und das nicht nur im politischen Kontext, sondern in allen Lebensbereichen.
Oder stellt ihr euch beim Wort „Feuerwehrmann“ im ersten Moment eine 1,50m große, zierliche Frau mit langem Haar vor?
In den letzten Jahren sind aus diesem Grund die Diskussionen zu inklusiver und besonders anti-diskriminierender Sprache immer lauter geworden. Das bedeutet auch, dass es verschiedene Wörter gibt, die wir grundsätzlich nicht mehr verwenden. Und das führt wiederum bei vielen Menschen zu heftigen Gegenreaktionen.
Gerade beim Thema Rassismus ist dann auch schon mal von „Sprachvergewaltigung“, „Zensur“ oder „Übersensibilität“ die Rede. Aber woher kommt die Abwehr? Und dann noch oft von gerade den Leuten, die sich selbst als nicht diskriminierend und/oder nicht rassistisch bezeichnen?
Gewinner der Kolonialzeit.
Was ganz allgemein psychisch in Betroffenen abgeht, heißt Reaktanz: Diese tritt in einem Menschen immer dann auf, wenn ein Individuum sich in seiner Meinungs- und Verhaltensfreiheit bedroht fühlt (www.wirschaftslexikon.gabler.de). Reaktantes Verhalten äußert sich in Widerstand und Ablehnung gegen die wahrgenommene Beeinflussung. Die Forderung einer anderen Sprache wird somit die ungewollte Beeinflussung, die man stark ablehnt.
Dieses Verhalten ist u.a. das Ergebnis einer über 500 Jahre alten Geschichte von Imperialismus, Kolonialismus und versteckten Rassismen (www.jetzt.de). Ihr erinnert euch vielleicht, irgendwann im Geschichtsunterricht mal was zur „Entdeckung Amerikas“ im Jahr 1492 von einem Herrn Kolumbus gehört zu haben? Das wurde in den Büchern häufig als „Beginn der Moderne“ betitelt.
Spoiler: Amerika gab’s schon vorher. Mit Menschen, die den Preis für diese „Moderne“ später teuer bezahlt haben. Doch in unserem westlichen Verständnis hat sich in erster Linie unsere vermeintliche Fortschrittlichkeit verankert, die uns annehmen lässt, auf der „richtigen“ Seite zu stehen (ebd.). Wir sind uns oft gar nicht darüber bewusst, dass unser Wohlstand auch davon abhängig ist, dass andere Personen (vor allem in nicht-westlichen Kulturen) strukturell ausgebeutet wurden und immer noch werden.
Aber ich hab doch einen Nachbarn, dessen Cousin 125. Grades schwarz ist!
Für viele Menschen passt Rassismus schlichtweg nicht in das eigene Selbstbild. Wer gesteht sich auch schon gern ein, rassistische Gedanken oder Verhaltensweisen zu haben? Vor allem, wenn sie einem gar nicht auffallen. Denn:
Wenn ich mich doch schon mal für Geflüchtete engagiert habe, manchmal was an Kinder in Afrika spende und guten Kontakt zu Personen anderer Hautfarbe als meine eigene habe, dann kann ich ja gar nicht rassistisch sein.
Nimmt man sich also als nicht rassistisch wahr, wehrt man auch eher diskriminierungssensible Sprache ab. Einfach weil es nicht zum Selbstbild passt, dass Begriffe, die man „immer schon so gesagt hat“ rassistisch verletzend sein könnten. Werden entsprechende Leute dann auf potentiell triggernde Sprache aufmerksam gemacht, nehmen sie dies als konkreten Rassismusvorwurf auf (www.jetzt.de).
Warum die Diskussion wichtig ist. Und was man sonst so tun kann.
In jedem Moment, in dem jemand diskriminierungssensible Sprache abwehrt oder sich bewusst dafür entscheidet, z.B. das N-Wort weiterhin zu benutzen, zeigt sich, dass Rassismus nicht irgendwo am Rande der Gesellschaft stattfindet.
Ich selbst kann gut verstehen, dass es schwierig ist, ganze Weltbilder umzustürzen und sich selbst immer wieder zu hinterfragen. Alles richtig mache ich (und Maxi) mit absoluter Sicherheit auch nicht. Umso wichtiger ist es darum, sich als weißer Mensch weiterzubilden und der eigenen Rolle in der Menschheitsgeschichte bewusst zu werden.
Dabei geht es nicht um Diffamierung und das Fingerzeigen auf die bösen Weißen. Es geht um Austausch, Informationen und Lernen.
Und um Sprache. Denn die ist mächtig.
Quellen
https://www.quarks.de/gesellschaft/psychologie/so-beeinflusst-die-sprache-unser-denken/
https://www.dguv-lug.de/sekundarstufe-ii/sozialkundepowi/sprache-und-diskriminierung/
https://www.jetzt.de/politik/rassismus-warum-menschen-diskriminierungssensible-sprache-abwehren
https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/reaktanz-45104
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