Irgendwie komme ich aus dem Geld-Thema nicht raus. War es letzte Woche noch meine eigene Kohle, geht es heute um das Einkommen aller deutschen Frauen. Denn die verdienen im Schnitt eine bestimmte Prozentzahl weniger als ihre männlichen Kollegen. Wen also das Wort „Gender“ im Titel noch nicht abgeschreckt hat und mehr zur Problematik erfahren möchte, möge sich ein Getränk der Wahl schnappen und weiterlesen.
Zahlenwirrwarr.
Dass es eine Verdienstdifferenz zwischen Männern und Frauen gibt, ist schon eine ganze Weile bekannt. Trotzdem halten viele Menschen die Gender Pay Gap (dt.: geschlechtsspezifisches Lohngefälle) immer noch für einen von militanten Feministinnen erfundenen Mythos. Vor allen Dingen, weil es hunderte Studien zum Thema gibt, die alle mit unterschiedlichen Zahlen um sich werfen.
Deshalb ist es wichtig zu wissen, dass die Gender Pay Gap in Deutschland auf zwei unterschiedliche Arten berechnet wird:
Einmal gibt es die unbereinigte Gender Pay Gap. Die gibt ganz allgemein den Unterschied des Bruttostundenlohns aller Männer und Frauen in Prozent an. 2021 verdienen Männer pro Stunde 23,20€, Frauen 19,12€ (www.destatis.de). Das sind 18% Unterschied und damit ziemlich viel.
Auf der anderen Seite steht die bereinigte Gender Pay Gap. Hier werden die 18% genommen und alle Faktoren herausgerechnet, die Gründe für den Verdienstunterschied sein können. Zum Beispiel Qualifikationen, das Berufsfeld an sich, Berufserfahrung, Ausbildung, etc. Da diese Erhebung vom Statistischen Bundesamt aber nur alle 4 Jahre vorgenommen wird (wegen des großen Aufwands), ist es schwieriger, etwas über aktuelle Zahlen zu sagen. 2018 lag die bereinigte Gender Pay Gap ungefähr bei 6% (www.haufe.de). Das heißt: Wenn man alle möglichen Gründe für das Lohngefälle mal außen vor lässt und Männer und Frauen vom gleichen Ausgangspunkt bewertet, verdiene ich trotzdem noch 6% weniger als meine männlichen Kollegen. Aua.
Was 6% bedeuten können.
Obacht, jetzt folgt eine eigene Berechnung: Ausgehend von einem „durchschnittlichen“ Bruttomonatslohn von 3000€* sind 6% schon mal 180€. Je nachdem in welcher Steuerklasse man sich befindet und welche anderen Dinge das Einkommen noch beeinflussen, kommt man ungefähr bei 100€ netto raus. In meinem Fall bedeuten 100€ einen Wocheneinkauf für meinen Partner und mich. Oder eine Monatsration Katzenfutter und -streu. Oder Tampons und Binden für vier Monate (für mich persönlich zumindest).
Hochgerechnet auf ein Jahr sind 100€ schon 1200€. Übertragen auf 40 Jahre Berufsleben sind wir bei 48.000€. Mir entgeht als Frau also nebenbei ein Auto. Einfach so.
*Der durchschnittliche Bruttomonatslohn liegt 2020 in Deutschland bei 3900€ (www.handelsblatt.com). Die meisten Leute, gerade Berufsanfänger oder auch Personen in systemrelevanten Berufen wie Kranken- oder Altenpfleger können davon allerdings nur träumen. Deshalb habe ich die Zahl etwas nach unten verlagert.
Osten vs. Westen.
Als Schmankerl obendrauf: In Westdeutschland fällt die unbereinigte Gender Pay Gap 2021 mit 19% um einiges höher aus als in Ostdeutschland mit 6% (www.destatis.de). Diese Zahl hat sich im Osten seit sage und schreibe 15 Jahren auch nicht verändert. Im Westen hingegen wird die Differenz allmählich kleiner. Hier waren wir 2006 noch bei schlappen 24%. Warum das so ist, darüber schweigen sich die Statistiken ein bisschen aus. Ein Grund könnten beispielsweise unterschiedliche Rollenbilder von Frauen in Ost- und Westdeutschland sein. Frauen wurden in der DDR in anderer Weise sozialisiert als in der BRD. So lag der Anteil der arbeitenden Mütter in der DDR um 1960 fast durchgängig bei 65 bis 75% (www.fondsfrauen.de). In der BRD hingegen „feierte“ man das goldene Zeitalter der Familie – Frauen an den Herd also. Diese Unterschiedlichkeit könnte demnach auch heute noch in Gender Pay Gap einzahlen, würde aber auch den Rückgang im Westen erklären. Denn die jüngere Generation Frauen lässt sich auch hier nur ungern in der Küche abstellen.
Selbsterfüllende Prophezeiungen.
„Dann musst du als Frau eben einfach besser verhandeln.“
Den Satz habe ich ein paar Mal gehört und ich möchte dieser Problematik deshalb jetzt auch gern mal Raum geben. Psychologisch gesehen – und Psychologie hab ich ja am liebsten – gibt es da nämlich ein paar interessante Sachen zu beachten.
Zuerst erkläre ich euch etwas zur Selbstwirksamkeitserwartung: Die beschreibt das Vertrauen einer Person aufgrund von eigenen Kompetenzen gewünschte Handlungen auch in schwierigen Situationen selbst ausführen zu können (www.spektrum.de). Bei diesem Vertrauen in sich selbst gibt es wiederum zwei mögliche Szenarien:
Entweder man glaubt, gezielt Einfluss auf Dinge nehmen zu können, ohne dass Zufall, Glück oder andere Personen dafür verantwortlich sind (internale Kontrollüberzeugung – man nimmt selbst aktiv an positiven oder negativen Sachen Einfluss).
Oder man glaubt, keinen oder nur geringen Einfluss nehmen zu können, da Zufall, Glück oder andere Personen eine große Rolle spielen (externale Kontrollüberzeugung – man nimmt schreibt äußeren Faktoren die Einflussnahme zu).
Was das mit Gender Pay Gap zu tun hat? Bei der Selbstwirksamkeitserwartung gibt es geschlechterspezifische Unterschiede zwischen Frauen und Männern (N.E. Betz, G. Hacket, 1986). Das zeigt sich besonders deutlich in MINT-Berufen. Während Mädchen schon in der Grundschule oft hören, dass sie aufgrund ihres Geschlechts schlechter in Mathe sind als Jungs, ist es bei letzteren häufig das Gegenteil. Das bedeutet, Mädchen haben eine geringere Selbstwirksamkeitserwartung, wenn es um Mathe geht und schneiden dadurch im Schnitt auch schlechter in diesem Schulfach ab. Bei Jungs könnten das auf der anderen Seite stereotype „Mädchenfächer“ wie Kunst oder Musik sein.
Auf (gut bezahlte) MINT-Berufe bewerben sich daher seltener Frauen und verdienen allein deshalb schon weniger. Knackpunkt: Frauen schreiben (berufliche) Erfolge eher externalen Faktoren zu, also Glück oder Zufall oder einem netten Chef als Männer (ebd.). Das ist auch einer der Gründe, warum Frauen in Gehaltsverhandlungen bis zu 20% weniger verlangen als ihnen eigentlich zustünde. (https://blogs.faz.net).
Lösung: Entscheidungsfreiheit. Oder?
Dann entscheide ich mich jetzt als Frau also konsequent für einen Ingenieursberuf, die Kinder kann wer anders kriegen und in Gehaltsverhandlungen knalle ich richtig schön die Eierstöcke auf den Tisch. Denn ich habe doch die Freiheit mich zu entscheiden. Irgendwie.
Und irgendwie auch nicht. Hier kommen wir übrigens auch zum größten Diskussionspotential, denn ab diesem Punkt fehlen die schönen Zahlen, auf deren Grundlage man sich wenigstens einig werden könnte.
Grundsätzlich kann man hier verschiedene Positionen vertreten.
- Frauen und Männer entscheiden zum Beispiel völlig frei über ihr Berufsleben. Alles kann, nichts muss. Die meisten Menschen machen nach dieser Prämisse also das, was sie am liebsten machen wollen. Und weil Frauen und Männer im Schnitt verschiedene Sachen wollen, verdienen sie auch verschiedene Gehälter.
- Oooooder: Frauen und Männer unterliegen gesellschaftlichen und soziokulturellen Zwängen, die die Sache mit der Entscheidungsfreiheit ganz schön madig werden lässt. Entscheidungsfreiheit in der Theorie bedeutet nämlich nicht, dass ich sie auch in der Praxis habe. Zum Beispiel: Ich verdiene weniger als mein Partner, wir entscheiden uns für ein Kiddo und überlegen, wer von uns zu Hause bleibt. Höchstwahrscheinlich ich. Denn ich bringe weniger Geld ein und es wäre rein rechnerisch blöd, wenn die größere Verdienstquelle (mein Mann) ausfällt. Zwar will ich mich dem gesellschaftlichen Zwang in dieser Situation nicht unterwerfen, komme aus dem Hamsterrad aber nicht heraus und „wähle“ deshalb das kleinere Übel. Besonders frei entschieden habe ich so allerdings nicht.
Ihr merkt: Schwierige Kiste. Denn alle Dinge auf äußere Zwänge abzuwälzen, ist vielleicht nicht der richtige Ansatz. Aber gesellschaftlich absolut essenziellen Berufen in Pflege, Erziehung und Sozialarbeit, in denen grundsätzlich mehr Frauen unterwegs sind als Männer, einen Hungerlohn zu zahlen – so richtig fair ist das auch nicht.
Meine abschließenden Worte zum Sonntag: Gender Pay Gap ist kein Mythos. Und verkauft euch nicht unter eurem Wert.
Quellen:
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/03/PD22_088_621.html
https://fondsfrauen.de/unterschiedliche-rollen-sozialisierung-fuer-frauen-in-ost-und-west/
https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/selbstwirksamkeitserwartung/14011
Nancy E. Betz, Gail Hackett: Applications of Self-Efficacy Theory to Understanding Career Choice Behavior. In: Journal of Social and Clinical Psychology. Band 4, Nr. 3, September 1986, S. 279–289.
https://blogs.faz.net/fazit/2020/08/03/gender-pay-gap-und-erwartungen-von-frauen-11581/
https://www.youtube.com/watch?v=_Ta6BH3e97I
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