Während meiner Ausbildungslaufbahn habe ich irgendwann gelernt, dass es einen Unterschied zwischen intro- und extravertiert gibt. (Ja, extravertiert. Extro ist tatsächlich Umgangssprache.) Beides sind Persönlichkeitseigenschaften der gleichen Skala, nur jeweils am gegensätzlichen Ende. Wenn ich damals (und heute) mal in den Genuss eines Persönlichkeitstests kam, dann zeigte das Ergebnis meist ganz eindeutig auf Introversion. Ich bin eher zurückhaltend, ich rede nicht besonders viel, soziale Events finde ich doof – die ganze Palette.
Zwei Gesichter.
Beobachtete ich mich allerdings selbst ein bisschen, stimmte das typische „in sich gekehrt sein“ nie zu 100%. Ich hasse Partys, auf denen ich niemanden kenne, aber ich liebe sie, wenn sich meine Freunde um mich scharen. Ich spreche niemals von mir aus fremde Leute an, aber wenn ich es tun muss, kann ich durchaus eine gute Unterhaltung führen. Ich verbringe gern (viel) Zeit mit mir allein, aber ich vermisse irgendwann auch andere Menschen. Ich bin ruhig, aber auf keinen Fall schüchtern. Ich ziehe mich manchmal wochenlang aus allen zwischenmenschlichen Beziehungen zurück, nur um danach wie ein Wasserfall jedes kleinste Detail aus meinem Leben zu teilen.
Offenbar bin ich beides. Je nach Situation kommt ein anderes Verhaltensmuster ans Tageslicht und ich dachte für eine ziemlich lange Zeit, ich würde mich ständig verstellen. Denn je nachdem wen man fragt, beschreiben mich auch andere Personen völlig unterschiedlich.
Ambivertiertheit.
Weil ich alles gern mit Begriffen einordne und sortiere (ich glaub, mein Hirn findet das nicht schlecht), habe ich aus irgendeinem Grund extrem lang nach einem passenden Wort für diesen Charakterzug gesucht. Vielleicht bin ich ja einfach eine extravertierte introvertierte Person. Oder vielleicht hab ich auch einfach einen Knacks.
Das mit dem Knacks ist eventuell auch nicht falsch, doch es gibt ein Wort für das ständige Pendeln zwischen Extraversion und Introversion: Ambivertiertheit. Die Lösung des Problems ist also denkbar einfach: Ich kann beides. Und zwar abhängig von der Situation besser oder schlechter. Denn ambivertierte Menschen werden von anderen oft als soziale Chamäleons wahrgenommen. Das heißt, sie passen sich ihrem Umfeld ständig neu an.
Das klingt selbstverständlich erst mal gut, macht manche Dinge aber auch schwerer: Ich hatte durchaus schon Kontakt zu Leuten, die mir sagten, sie wissen auch nach Monaten gemeinsamer Zeit überhaupt nicht, wer ich eigentlich bin. Und das stimmt, denn des Pudels Kern entdeckt man bei mir erst, wenn ich mich wirklich wohl fühle. Der Mann schaut mich außerdem oft schräg an, wenn ich ihm erst einen Monolog über ein Thema halte, das mich interessiert und dann an der Fleischtheke nicht mit der Verkäuferin sprechen will.
Ambivertiertes Verhalten zu zeigen, ist deshalb nicht immer cool. Aber oft ziemlich praktisch.
Und ich habe endlich ein Wort dafür. (Was ich durch zweisekündiges Googlen sicherlich schon früher hätte herausfinden können. Probs an mich.)
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