Schwangerschaftsabbrüche sind seit Jahrhunderten ein Tabuthema – und das hat sich 2022 immer noch nicht geändert. Obwohl wir vor Digitalisierung, Beschleunigung und Fortschritt nur so strotzen, verhalten wir uns gegenüber einer Abtreibung eher wie Höhlenmenschen. Und selbst die hätten uns vermutlich ausgelacht.
Die Rechtslage in Deutschland.
Starten wir doch einfach mal mit Abtreibungen in Deutschland, bevor wir uns über den großen Teich bewegen. Denn die Gesetze in anderen Ländern kommen uns oft extrem rückschrittlich vor. So sehr viel besser sind wir allerdings selbst nicht.
Abtreibungen wurden (und werden) mit den Paragraphen 218 und 219a des Strafgesetzbuches geregelt. Richtig, Strafgesetzbuch. Denn nach Paragraph 218 sind Schwangerschaftsabbrüche rechtswidrig (www.mdr.de)
Unter bestimmten Bedingungen bleibt der Eingriff jedoch straffrei: Das ist dann der Fall, wenn die Betroffene den Vorgaben der Beratungsregelung folgt. Die wiederum besagt, dass die schwangere Person sich mindestens drei Tage vor dem Abbruch bei einer staatlich anerkannten Schwangerschaftkonfliktberatungsstelle beraten lassen muss. Darüber legt anschließend die Ärztin oder der Arzt, die den Eingriff vornehmen, einen Nachweis ab. Obacht: Die Ärzte selbst dürfen an diesem Beratungsgespräch nicht teilnehmen (ebd.).
Die Abtreibung muss außerdem innerhalb von 12 Wochen nach der Empfängnis vorgenommen werden. Sind beide genannten Voraussetzungen erfüllt, kann niemand der am Abbruch Beteiligten bestraft werden.
Seit 1995 bleibt die Prozedur trotz Straffreiheit rechtswidrig: Das Grundgesetz verpflichtet so den Staat, das ungeborene Leben zu schützen. Das heißt, dass der Schwangerschaftsabbruch weiterhin grundsätzlich als Unrecht gelte und verboten sei.
Nach einer Beratung dürfe der Abbruch in den ersten zwölf Wochen zwar „straflos“ bleiben, müsse aber weiter als „rechtswidrig“ gelten, also als Verstoß gegen die Rechtsordnung. Nur so werde Frauen in der Beratung bewusst gemacht, dass sie im Prinzip die Rechtspflicht haben, das Kind auszutragen. Grundsätzlich dürfe es auch keine Kostenübernahme der Krankenkassen von rechtswidrigen Eingriffen geben (www.tagesschau.de).
Tschüss 219a!
Erfreulicherweise schlagen wir allmählich einen Weg ein, der es ungewollt schwangeren Menschen zumindest ein bisschen leichter macht, mit ihrer Situation zurecht zu kommen. Der Paragraph 219a regelte nämlich bis zum letzten Monat das Werbeverbot für Abtreibungen.
Ja, richtig. Das Werbeverbot.
Als würden Frauenärztinnen mit bunten Fähnchen und duchgestrichenem Fötus vor deiner Haustür Schwangerschaftsabbrüche bejubeln.
Das durften sie bisher auf jeden Fall nicht tun, auch nicht auf subtilere Art und Weise. Bedeutet: Du hast nicht nur keine fröhlichen Radiospots übers Abtreiben gehört, nein, deine zuständige Ärztin durfte dich auch nicht selbst darüber informieren wie der Eingriff funktioniert und welche Möglichkeiten es für dich gibt (www.gesetze-im-internet.de).
Wo wir dann wieder bei Schwangerschaftskonfliktsberatungsstellen (z.B. pro familia) wären.
Paragraph 219a wurde in diesem Jahr gestrichen. Ein guter Schritt also in eine aufgeklärtere, liberalere, freiere Welt.
Vom Tellerwäscher zur ungewollten Mutter.
Und dann kommt die USA um die Ecke und will mal wieder nicht aufgeklärt, liberal und frei sein. Lustig für ein Land, das genau für diese Werte eine Statue errichtet hat.
Aber Zynismus beiseite (wir wollen ja nichts generalisieren): 1973 hat der Surpreme Court beschlossen, dass das Recht auf persönliche Freiheit auch das Recht auf Abtreibungen einschließt. Das sicherte Frauen bisher die Möglichkeit auf einen Schwangerschaftsabbruch. Diese Regelung wurde am 24.06.2022 gekippt. Denn der oberste Gerichtshof ist mittlerweile der Ansicht, dass das Recht auf persönliche Freiheit eben keine Abtreibungen beinhaltet (www.wdr.de). Ob eine Frau einen derartigen Eingriff vornehmen darf oder nicht, ist jetzt Sache der Bundestaaten. Die konservative Mehrheit des Gerichts befand mit sechs zu drei Stimmen, das Grundsatzurteil von 1973 sei „ungeheuer falsch“ gewesen. Präsident Joe Biden sprach von einer „furchtbaren Entscheidung“ (www.tagesschau.de).
Was diese Entscheidung bedeuten kann.
Einige streng konservative Bundesstaaten wie Alabama, Oklahoma oder Kentucky haben als Reaktion sofort Gesetze verabschiedet, die Abtreibungen generell verbieten – erste Kliniken mussten bereits schließen. Weitere Staaten werden vermutlich folgen. Lichtblick: Es gibt auch einige Bundesstaaten, die den umgekehrten Weg gehen und ein Recht auf Abtreibung festschreiben wollen oder das schon getan haben.
Für einen Schwangerschaftsabbruch in einen anderen Staat zu reisen, ist auch keine Option: Denn erstens ist so ein kleiner Abtreibungsausflug für viele Frauen nicht bezahlbar. Und zweitens wollen sie meist geheimhalten, dass sie schwanger sind – was gerade auf einer längeren Reise schwierig werden dürfte. Käme an irgendeiner öffentlichen Stelle heraus, dass man mit ungeborenem Kind gegangen und ohne wiedergekommen ist, stünde man sowieso mit beiden Beinen im Gefängnis. Außerdem gibt es schon jetzt Politiker, die damit drohen, solche „Reisen“ zu verbieten.
Die Folge all dessen könnten Eingriffe sein, die zu Hause auf dem Küchentisch vorgenommen werden. Oder bei einem „Arzt“ im Hinterhof. Über eine möglicherweise ansteigende Suizidrate will ich da gar nicht erst sprechen.
Zukunftsaussichten.
Wir haben noch einen langen Weg zu gehen, bis jede Frau (und jeder Mensch) auf dieser Welt frei über ihren Körper entscheiden kann. Dass wir auf die Straßen gehen und laut sind, das ist gut. Dass wir uns füreinander einsetzen, das ist auch gut. Und es gibt immer wieder kleine lichte Momente, die zeigen, dass wir uns auf dem richtigen Pfad befinden. Lasst uns an denen festhalten – und weitermachen.
Quellen:
https://www.mdr.de/brisant/ratgeber/abtreibung-deutschland-102.html
https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/abtreibung-verfassung-gericht-101.html
https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__219a.html
https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/abtreibung-usa-supremecourt-101.html
https://www1.wdr.de/nachrichten/usa-abtreibung-supreme-court-roevwade-100.html
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