Mein letzter Gretchenfrage-Beitrag ist eine ganze Weile her: Da sich seitdem bei mir einige Dinge geändert haben, wollte ich euch gern updaten.
Erster Akt: Glaubenskrise
Ich weiß gar nicht so genau, wo ich anfangen soll. Oder wann es angefangen hat.
So im ersten Quartal dieses Jahres habe ich mich plötzlich ziemlich unwohl gefühlt. Ein wenig als würde meine Haut ständig von innen jucken und ich könnte einfach nicht kratzen. Ich war mies drauf und lag meistens ziemlich apathisch auf der Couch herum, denn nicht mal mehr meine Hobbys haben noch Spaß gemacht.
Mit einem Schlag, der mir den Kiefer hätte ausrenken können, bin ich dann eines Tages plötzlich aufgewacht und habe ALLES hinterfragt. Besonders aber mein Glaubenssystem. Denn in der ganzen Apathie und Launenhaftigkeit habe ich zuerst gar nicht gemerkt, dass sich in meinem Kopf gerade irgendwelche Windungen anders zusammenschalten – und weiterentwickeln.
Diese Weiterentwicklung – woher sie auch immer gekommen ist – hat dazu geführt, dass ich auf einmal nicht mehr sicher war, ob ich cool mit Gott bin. Also dem christlichen. Was wiederum ganz schön gruselig gewesen ist, denn bisher hat mir diese Konstante recht viel Halt und Sicherheit gegeben. Aber ich wäre ja nicht ich, wenn ich von heute auf morgen Sicherheit richtig scheiße finden könnte. Ich denke, so ähnlich muss sich die Midlife-Crisis anfühlen. Oder die Quarterlife-Crisis.
Zweiter Akt: Energie
Das Gute an meiner vorangegangenen Lustlosigkeit war, dass ich ziemlich viel Zeit auf TikTok verbracht habe. Meine Sehgewohnheiten befinden sich da in recht kuriosen Nischen. Vermutlich bin ich deshalb eines Tages in der Hexensparte gelandet. Mir wurden also Videos von Leuten vorgeschlagen, die im weitesten Sinne des Begriffs „Heiden“ sind und das auch praktizieren. Also Leute, die in ihren Wohnungen Salbei verbrennen, um negative Energien abzuwenden. Oder Runen an die Türen malen, für Glück und Wohlstand und, na ja, positive Energie. Oder Edelsteine dazu benutzen, um die – Überraschung – Energie im Haus zu beeinflussen.
Dann waren da noch Menschen dabei, die für die Gottheiten ihrer Wahl (egal, ob griechische, keltische oder entfernt christliche) kleine Altare besitzen und „Opfer“ in Form von Wein oder Obst bringen. Die Kerzen anzünden und versuchen durch die Flammen mit ihnen zu kommunizieren.
Ihr denkt sicher, was ich dachte: Ziemlich viel Energie. Ziemlich seltsam. Ziemlicher Hokuspokus.
Dritter Akt: Informationssuche
Ich konnte nicht anders als alles, was ich gesehen habe, als esoterischen Mist zu deklarieren. Aber warum eigentlich? Warum war das die erste Reaktion? Ich wusste es nicht recht. Und weil ich den Astro-TV-Vibe tagelang nicht losgeworden bin, habe ich angefangen ein bisschen zu googlen.
Die Kelten (immer eher als barbarische Ur-Heiden bekannt) hatten zur Feier jeder Jahreszeit ein eigenes Fest. Zum Beispiel Yule am 21.12. oder Ostara als Fruchtbarkeitsfest am 21.03. Oder wie wärs mit Samhain am 01.11.?
Klingt bekannt?
Das hier vielleicht auch: Vielerorts wird zum 01.05. ein Maibaum aufgestellt und geschmückt. Man tanzt ein bisschen drumherum und trinkt und freut sich.
Macht man eben so. Gehört zur unserer Kultur. Wir sind ja christlich geprägt und so weiter.
Nee: Wir sind geprägt von dem, was die Christen sich erst angeeignet haben.
An dieser Stelle kam für mich ein großer Wendepunkt: Weihnachten, Ostern, Allerheiligen – alles christliche Feste, die zufälligerweise mit keltischen zusammenfallen. Habt ihr euch mal überlegt, warum wir uns einen Tannenbaum ins Wohnzimmer stellen? Oder im Frühling bunte Eier suchen? Zu Halloween Kürbisse schnitzen?
Das alles hätte Jesus sicher auch gefallen, hat aber rein gar nichts mit dem „aufgeklärten“ Christentum zu tun. In ihrem Kern sind all das „abergläubische“, „esoterische“, „spirituelle“ Dinge, die wir machen, während wir Leute verurteilen, die Karten legen und Edelsteine sammeln. Gleichzeitig gehen wir sonntags in die Kirche, lassen uns mit „heiligem“ Weihrauch berieseln und hoffen, dass die Dreieinigkeit über uns kommen möge. Aber finden Menschen seltsam, die sich Sträuße aus Kräutern binden, um ihre Wohnung mit Rauch zu reinigen.
(Übrigens: Weihrauch ist eigentlich ein kristallisiertes Harz – und ebenfalls keine christliche Erfindung. Mit dem Zeug haben schon die Ägypter ihre Mumien besprenkelt.)
Ich stand also zusammengefasst vor einem gigantischen Paradoxon: Wie kann ich an eine Religion und einen Gott glauben, der genauso aus einem Fantasy-Roman stammen könnte wie die „Hexen“ bei TikTok? Und wieso sollte es überhaupt nur diesen einen Gott geben? Haben sich die anderen in Luft aufgelöst als die großen Weltreligionen kamen?
Vierter Akt: Deal
Mittlerweile verurteile ich einfach gar nichts mehr, was ich sehe. Jeder darf glauben und praktizieren, was er möchte. Das führt jedoch auch dazu, dass ich mich nicht mehr damit wohlfühle, nur einen einzigen Gott cool zu finden. Denn Glauben ist für mich immer noch wichtig – er beschränkt sich nur nicht mehr starr auf den einen einzig wahren. (Dass es nur einen einzig wahren gibt, habe ich sowieso nie für richtig gehalten.)
Übernatürlichen Kram finde ich einfach spannend. Vielleicht ist das mein Deal mit mir selbst. Ich finde das Christentum okay und auch das Judentum und den Islam und die Hindus und die Buddhisten. Aber ich kann nicht sagen „Uff, du glaubst an Geister???“ und selbst Anhängerin einer Religion sein, die an unbefleckte Befruchtung durch den heiligen Geist glaubt.
Mein Punkt ist: Wir sind uns alle ähnlicher als wir glauben. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Denn vielleicht sind wir auch alle nur monströs große, intelligente Barsche, die sich für die Krone der Schöpfung halten.
Darauf erst mal ein Schluck Jungfrauenblut. Das muss so als Hexe.
Quellen:
https://www.vivat.de/magazin/christliches-leben/symbole-devotionalien/weihrauch-bedeutung-herkunft/
https://matchamornings.de/wellnessjournal/keltische-jahreskreisfeste
Schreibe einen Kommentar